Friedrich Nietzsche – Gedicht

Vogel – Urtheil

Als ich jüngst, mich zu erquicken,
Unter dunklen Bäumen sass,
Hört’ ich ticken, leise ticken,
Zierlich, wie nach Takt und Maass.
Böse wurd’ ich, zog Gesichter,
Endlich aber gab ich nach,
Bis ich gar, gleich einem Dichter,
Selber mit im Tiktak sprach.

Wie mir so im Versemachen
Silb’ um Silb’ ihr Hopsa sprang,
Musst ich plötzlich lachen, lachen
Eine Viertelstunde lang,
Du ein Dichter? Du sein Dichter?
Stehts mit deinem Kopf so schlecht? —
«Ja, mein Herr! Sie sind ein Dichter!»
— Also sprach der Vogel Specht.

Charles Baudelaire – Gedicht

Der Albatros

Oft kommt es dass das schiffsvolk zum vergnügen
Die albatros – die grossen vögel – fängt
Die sorglos folgen wenn auf seinen zügen
Das schiff sich durch die schlimmen klippen zwängt.

Kaum sind sie unten auf des deckes gängen
Als sie – die herrn im azur – ungeschickt
Die grossen weissen flügel traurig hängen
Und an der seite schleifen wie geknickt.

Der sonst so flink ist nun der matte steife.
Der lüfte könig duldet spott und schmach:
Der eine neckt ihn mit der tabakspfeife
Ein andrer ahmt den flug des armen nach.

Der dichter ist wie jener fürst der wolke –
Er haust im sturm – er lacht dem bogenstrang.
Doch hindern drunten zwischen frechem volke
Die riesenhaften flügel ihn am gang.

(aus „Die Blumen des Bösen“ übersetzt von Stefan George)