« Das Beste steht nicht immer in den Büchern, sondern in der Natur; nur haben die Menschen meist nicht die Augen, es zu sehen. »
Schlagwort / Mensch

Durchgelesen – „Autoportrait“ v. Édouard Levé
Kennen Sie, verehrter Leser, den Unterschied zwischen einer Autobiographie und einem Autoportrait ? Eigentlich wäre es ganz einfach, denn eine Autobiographie ist die Beschreibung der eigenen Lebensgeschichte und gehört zu der literarischen Form, bei der Autor, Erzähler und der Haupt-Protagonist die gleiche Identität haben. Ein Autoportrait – man könnte auch Selbstporträt sagen – ist die Selbstpräsentation eines Malers, Zeichners, Bildhauers oder Photographen. Kurzum eine Kunstform, die nicht mit Worten, sondern mit Farben und Bildern auskommt. Doch Édouard Levé konfrontiert uns auf sehr ausser-gewöhnliche Weise mit seinem « Autoportrait » : es ist eine quasi in Worten und Sätzen « gemalte » und « photographierte » Lebens-Retrospektive, die den Leser aufrütteln und nachhaltig stark, aber auch intellektuell kreativ fordern wird.
Édouard Levé – geboren am 1. Januar 1965 – war ein französischer Schriftsteller, Künstler und Photograph. Er studierte an der École supérieure des sciences économiques et commerciales. 1991 nach Abschluss seines Studiums begann er mit der Malerei, die er aufgrund einer ihn beeinflussenden Reise nach Indien wieder aufgab und sich von nun an der Photographie widmete. Seine erste Photo-Serie erschien 1999 unter dem Titel « Homonymes ». Édouard Levé konnte 2002 sein erstes schriftstellerisches Werk mit dem Titel « Œuvres » in Frankreich veröffentlichen. Von da ab bis zu seinem Selbstmord am 15. Oktober 2007 erschienen in Frankreich noch insgesamt vier Prosawerke und mehrere Photobände. « Autoportrait », bereits 2005 in Frankreich publiziert, wird nun fast 7 Jahre nach dem Selbstmord Levés – dank der hervorragenden Übersetzung von Claudia Hamm – erstmals dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt.
Éduard Levé steigt ganz klar und direkt ein in seine Lebensgeschichte, die in seiner Struktur, seinem nicht vorhandenen chronologischen Aufbau und seiner Kunstform bereits im ersten und in vielen folgenden Sätzen sehr an Georges Perec erinnert :
« Als Jugendlicher glaubte ich, eine Bedienungsanleitung Leben könnte mir beim Leben helfen und eine Bedienungsanleitung Selbstmord beim Sterben. Ich habe drei Jahre und drei Monate im Ausland verbracht. Ich schaue lieber nach links. Einer meiner Freunde befriedigt sch mit Seitensprüngen. Das Ende einer Reise hinterlässt bei mir den selben traurigen Nachgeschmack wie das Ende eines Romans. »
Das Leben « sprudelt » aus ihm heraus, in kurzen Sätzen erfahren wir über seine Interessen, seine Vorlieben und seine Abneigungen. Wir erkennen seine Charakterzüge, wir erahnen seine Seelenzustände :
« Ich habe oft geliebt. Ich liebe weniger als ich von anderen geliebt wurde. Ich staune darüber, dass man mich liebt. »
Er plaudert im Staccatostil über Freunde, Familie und sich selbst, seine Fehlentscheidungen, seine Wünsche, sogar auch ein wenig über seine Hoffnungen. Er berichtet im Stenographenstil über seine Reisen, philosophiert und stigmatisiert. Er beschäftigt sich mit der Gesellschaft, deren Teil er ist oder zu sein scheint. Im Vordergrund steht sein Ich, was dank der Vielzahl von Ich-Sätzen kaum zu übersehen ist. Und genau dieses Ich hat eine ganz eigenartige Wirkung beim Lesen, so dass man im Laufe dieser Sätze immer mehr dieses Ich annehmen könnte und es immer schwerer wird während des Leseprozesses, zwischen Levés und des Lesers Ich zu trennen bzw. zu unterscheiden.
Doch nicht nur dieses Ich hat eine ungaublich sogartige und spannende Wirkung. Auch diese indirekten Fragestellungen und Unterstellungen sich selbst gegenüber bieten dem Leser eine Bühne der Selbstinfragestellung, die in der Literatur ihresgleichen sucht. Besonders bei Sätzen wie diesen, ist man als Leser erstmal geneigt sprachlos innezuhalten, bevor man sich auf die nächste Lebensreise von Édouard Levé einlässt :
« Die Gegenwart interessiert mich mehr als die Vergangenheit, aber weniger als die Zukunft. »
Levé kann mit seinem unglaublich puristischen und manchmal etwas kalt erscheinenden Schreibstil die Intensität und Klarheit seines doch im ersten Moment banalen Lebens fantastisch « erzählerisch » betonen. Es fühlt sich an wie Kunst, wie feinste Pinselstriche, die ein grosses Werk erschaffen. Man denkt sofort an den Pointilismus und an den Maler Georges Seurat. Oder ist dieses Selbstportrait vielleicht auch wie ein Photo, das durch die Anzahl der einzelnen Bildpunkte erst zu einer richtigen Photographie werden kann. Hier kann sich der Leser nun aussuchen, ob jedes Wort von Édouard Levé wie ein Pixel oder Pinselstrich fungiert, den Levé in einer ganz besonderen und gewissen Formvollendung seinem « Autoportrait » zu Grunde legt.
Dieses « Autoportrait » zeigt die differenziertesten Elemente des menschlichen Lebens, vielleicht zur Provokation, aber auch zum Amusement. Wir lernen sehr viel beim Lesen dieses Buches, es öffnet nicht nur die Augen über einen uns bis jetzt unbekannten Menschen und hochbegabten Schriftsteller, sondern auch über uns selbst. Und durch Levés konsequentes, irritierendes und berührendes Schreiben könnte man fast denken, dass er gleichzeitig auch ein Selbstporträt des Lesers, das sowohl nervös macht, als auch sehr inspirierend ist, detailliert « zeichnet ». Lassen Sie sich verführen, in den Sog hineinziehen und seien Sie fasziniert von diesem Buch und ihrem eigenen Leben!
Friedrich Hölderlin – Gedicht
Der Sommer
Das Erntefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indes am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.
Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.
Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, dass sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.
Jean-Jacques Rousseau – Zitat
„Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“
Pablo Neruda – Gedicht
Der Mensch möchte Fisch sein und Vogel,
die Schlange hätte gerne Schwingen,
der Hund ist ein fehlgeleiteter Löwe,
der Ingenieur wäre lieber Dichter;
die Fliege übt den Flug der Schwalbe,
der Dichter eifert nach der Fliege,
nur die Katze will nichts als Katze sein.
Nagib Mahfuz – Zitat
Ob ein Mensch klug ist, erkennt man an seinen Antworten. Ob ein Mensch weise ist, erkennt man an seinen Fragen.
Max Frisch – Zitat
„Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet Geschichten – nur dass er sie, im Gegensatz zum Dichter, für sein Leben hält …“
Wilhelm Hauff – Zitat
„Der Umgang mit schlechten Büchern ist oft gefährlicher als der Umgang mit schlechten Menschen.“
Johann Wolfgang von Goethe – Gedicht
Rezensent
Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last,
Ich hatt so mein gewöhnlich Essen,
Hat sich der Mensch pump satt gefressen
Zum Nachtisch was ich gespeichert hatt!
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu raisonnieren.
Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein.
Der tausend Sackerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.
Durchgeblättert – „Einer unter 6 Milliarden“ v. Yann Arthus-Bertrand
Sie sind neugierig auf andere Menschen, sie wollten immer schon mal wissen, „was Menschen erleben, träumen und hoffen“?! „Einer unter 6 Milliarden“ ist der Querschnitt in Buchform eines beeindruckenden Projekts.
Yann Arthus-Bertrand gehört zu den berühmtesten Fotografen der Welt. Bekannt wurde er durch sein Werk „Die Welt von oben“ und welches auch indirekt der Auslöser für dieses neue Projekt war. Bei seinen Reisen um die Welt kam er sehr oft mit Menschen ins Gespräch, die ihm ganz offen ihre Alltagsprobleme, Träume, aber auch von ihren Hoffnungen erzählten. Dies spornte ihn an, ein Projekt zu konzipieren, dass Menschen aus den verschiedensten Ländern zu Wort kommen lässt und jedem einzelnen Erdbewohner zeigen soll, wie wichtig es ist, trotz vieler Schwierigkeiten, zusammenleben zu können.
„Einer unter 6 Milliarden“ ist ein Mammutprojek in Zusammenarbeit mit „Good Planet“: 4 Jahre Drehzeit, 75 Länder, 5000 Interviews und 40 Fragen – wie zum Beispiel: Wovon träumten Sie als Kind? Was bedeutet Ihnen die Familie? Was war Ihr schlimmstes Erlebnis? Was bedeutet Ihnen Geld? Und genau diese 40 Fragen findet man am Anfang des Buches, die jeder ganz für sich persönlich beantworten kann. Danach werden die Menschen einzeln, aber als Beispiele für viele andere, vorgestellt. Sie sind offen, ehrlich, mutig, und sehr authentisch. Bei einigen Menschen findet man die Antworten mehrer Fragen – fast wie ein kleines Porträt, bei vielen anderen liest man nur eine Antwort, die jedoch im Vergleich zu anderen Antworten auf die gleiche Frage steht. Dazu kommen die wunderbaren Fotos, sei es in Porträtgrösse oder nur als ganz kleines Passfoto. Der Mensch wird gezeigt in Wort und Bild!
Das Buch ist ein ausserordentliches Panoptikum der Menschen unserer Erde. Es macht neugierig, es klärt auf, es gibt ehrliche Einblicke und es fasziniert. Man trifft Menschen mit ihren Antworten, die sich gegenüber stehen, und sich aber persönlich niemals begegnet sind. Man spürt das unglaublich intensive Gefühl als Leser auch zu diesen 6 Milliarden zu gehören. Und man kann plötzlich entdecken, dass andere Menschen genauso denken und fühlen wie wir selbst, auch wenn sie beispielsweise auf einem ganz anderen Kontinent leben.
„Einer unter 6 Milliarden“ ist ein beeindruckendes im wahrsten Sinne des Wortes „buntes Bilderbuch“, das 500 Menschen dieser Erde zu Wort kommen lässt. Ein Buch für alle die neugierig sind und Menschen offen begegnen!
Charles Baudelaire – Zitat
„Jeder gesunde Mensch kann leicht zwei Tage ohne Nahrung leben – ohne Poesie niemals!“
Sören Kierkegaard – Zitat
„Die meisten Menschen klagen darüber, dass es in den Romanen nicht zugehe wie im Leben. Ich klage darüber, dass es im Leben nicht so zugeht wie in den Romanen.“
Friedrich Schiller – Gedicht
Hoffnung
Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen;
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben;
Denn beschliesst er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.
Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren,
Im Herzen kündet es laut sich an:
Zu was Besserm sind wir geboren.
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.
Durchgelesen – „Vier Äpfel“ v. David Wagner
Dieses schmale Buch könnte im ersten Augenblick eine soziologische Studie über die Produkte eines Supermarktes sein. Doch es ist weit mehr. Es ist ein Stück feinster Literatur, die den Leser gleich mit dem ersten Satz: „Lange bin ich gar nicht gern in Supermärkte gegangen.“ so sehr an den Beginn der Proust’schen Recherche erinnert: „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen“.
Ja und diese Gemeinsamkeit ist nicht die Einzige. David Wagner konzentriert sich genau wie Proust auf die Beschreibung der alltäglichen und vollkommen unwichtigen Dinge. Seine intensive, aber gleichzeitig leichtfüssige Beobachtungsgabe machen den Leser neugierig!
Eigentlich ist es die Geschichte seiner vorlorenen Liebe zu L., an die er während seinen Einkaufs immer wieder erinnert wird. Doch das Schlüsselerlebnis sind die „vier Äpfel“, die er auf die Waage legt und diese zeigt erstaunlicher Weise genau 1000 g an. Und ab diesem Moment beginnt er darüber nachzudenken, warum genau jeder dieser Äpfel 250 g wiegt. Er ist verunsichert:
„Ich mutmasse, dass ohnehin nur fast perfekte, um die zweihunderfünfzig Gramm wiegende Äpfel in die Supermarkt-regale gelangen. Hier liegt die Apfelelite, während andere, weniger ansehliche Exemplare in Fertigkuchen verbacken oder zu naturtrüben Saft gepresst werden oder, Apfelschicksale, in heissen Apfeltaschen enden.“
Er kauft weiter ein und wird durch andere Produkte, wie zum Beispiel durch Nudeln wieder gedanklich mit L. konfrontiert. Sie verfolgt ihn wie ein Gespenst durch den Supermarkt und diese Assoziationen lassen ihn immer melancholischer und verzweifelter werden:
„Ob ich jemals zur Kasse finden werde, weiss ich nicht. Ich könnte immer wieder dieselbe Runde durch die drei, vier Gänge drehen – gegen den Uhrzeigersinn und immer wieder an den Fertignudel-sossen, dem Zucker und den Tütensuppen vorbei – und nie, Stunden, Tage, Jahre nicht, zur Kasse finden.“
David Wagner ist ein wunderbarer Beobachter, ein „Flaneur im Supermarkt“, der – obwohl der Ich-Erzähler seine Traurigkeit nicht versteckt – voller Witz und Humor den Leser an seinen Eindrücken teilhaben lässt.
Ein Roman, in dem das Einkaufen in einem Supermarkt, so unglaublich schön, skurril, messerscharf, philosophisch hintergründig und gleichzeitig amüsant beschrieben wird. Ein Buch mit sehr grosser Wirkung, die der Leser bei seinem nächsten Besuch im Supermarkt sofort spüren wird.
Christine Nöstlinger – Gedicht
„Auszählreime“ von Christine Nöstlinger
Einer ist reich
und einer ist arm,
einer erfriert
und einer hat’s warm.
Einer stiehlt
und einer kauft,
einer schwimmt oben
und einer ersauft.
Einer springt
und einer hinkt,
einer fährt weg
und einer winkt.
Einer stinkt
und einer duftet,
einer ist faul
und einer schuftet.
Einer hat Hunger
und einer hat Brot,
einer lebt noch
und einer ist tot.
Einer hat’s lustig
und einer hat Sorgen,
einer kann schenken
und einer muss borgen.
Zu den einen zählst du,
zu den andern zähl ich,
ich hab’s lustig und warm,
also pfeif ich auf Dich!
Ich bin lebendig
und faul und reich,
ob du schon tot bist,
ist mir doch ganz gleich!
Durchgelesen – „Führer, Narren und Hochstapler“ v. Manfred F.R. Kets de Vries
Manfred F.R. Kets de Vries, hat mit seinem Werk „Führer, Narren und Hochstapler“ – aufbereitet in sieben Essays – einen Klassiker der Führungspsychologie geschrieben.
Er selbst, ausgebildeter Psychoanalytiker und langjähriger Management-Berater, fragt nach den unbewussten Motiven, die Verhalten und Handlungen von Führungspositionen bestimmen können. Er setzt dabei das Motiv des „Hofnarren“ ein, um die Probleme der Führung zu entzerren.
Es ist ein sehr kurzweiliges Stück Managementliteratur und wird durch die Berichte aus der Praxis mit viel (schwarzen) Humor und grosser Anschaulichkeit aufgelockert. Er zeigt mit seiner kraftvoll-anschaulichen Sprache den Typus des Führers in ganz verschiedenen Varianten: als Geltungssüchtigen, als Autisten, als emotionalen Analphabeten, als Hochstapler und auch als „Normalen“.
Dies ist wahrlich ein beeindruckendes und nachwirkendes Buch für psychologisch interessierte Führungskräfte, aber auch für den interessierten Laien!
Molière – Zitat
„Man kann ein anständiger Mensch sein und doch schlechte Verse machen.“
Durchgelesen – „Die Leinwand“ v. Benjamin Stein
Dies ist ein ungewöhnliches und fesselndes Buch, das um die Frage nach der Verlässlichkeit der Identität und der Erinnerung kreist. Es ist ein Buch, das hinter jedem einzelnen Buchdeckel eine eigene Geschichte versteckt. Doch in der Mitte kommt es zur Konfrontation der beiden Erzähler.
Die eine Geschichte erzählt aus der Perspektive von Amnon Zichroni. Er wird sehr streng jüdisch erzogen, erkennt im Laufe seiner Jugend seine besondere Begabung „Erinnerungen anderer Menschen“ nachzuerleben und bringt diese dann auch in seinem Studium der Psychologie und Psychiatrie ein. Als Pychoanalytiker lässt er sich in Zürich nieder und trifft dort auf den Geigenbauer Minsky. Zichroni überredet ihn, seine traumatischen Kindheitserinnerungen im NS-Vernichtungslager schreibenderweise zu verarbeiten. Jedoch erscheint kurz darauf ein Buch, in dem der Journalist Jan Wechsler behauptet, das dies alles erfunden sei.
Die andere Geschichte aus der Perspektive von Jan Wechsler beginnt mit dem Auftauchen eines mysteriösen Koffers. Wechsler wächst in der DDR auf, ist auch Jude und erlebt strenge Regeln in seinem damaligen jüdischen Viertel in Ostberlin. Es wird ihm eines Tages ein Koffer zugestellt, den er bei seiner angeblich letzten Israel-Reise verloren haben soll. Er kann sich jedoch an nichts erinnern. Doch nachdem er den Koffer öffnet, entdeckt er ein Buch mit dem Titel „Maskeraden“ von Jan Wechsler und er ist total verwirrt. Er reist deshalb nach Israel, wird jedoch auf dem Flughafen in Gewahrsam genommen und verhört, da sein damaliger Gastgeber Zichroni als vermisst gilt.
Zwei Personen und zwei Leben, die sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Sie sind Juden, sie wachsen mit wenig Freiheiten auf und für jeden von ihnen ist ein Buch von unglaublicher Bedeutung. Für Zichroni war es „Das Bildnis des Dorian Grey“ von Oscar Wilde und für Wechsler George Orwell’s „1984“. Wegen dieser Parallelen stellen sich hier die Fragen: Wer ist Wer? Was ist Erinnerung, was ist Wahrheit? Der Leser wird in ein Labyrinth geführt, doch wo ist er Ausgang?
Ein sehr spannender und anspruchsvoller Roman, der den Leser sofort in seinen Bann zieht. Ein Buch das auf sehr informative, aber unglaublich amüsante Weise, Einblicke in das jüdische Leben gibt. Ein Werk, das den Leser fordert und gleichzeitig auf sehr niveauvolle Art unterhält.
Michel de Montaigne – Zitat
„Wenn ich also auch ein Mensch bin, der einiges gelesen hat, so doch einer, der nichts behält.“