Durchgelesen – „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“ v. Alex Lépic

Durch den berühmten Kommissar Maigret sind wir doch alle ein wenig verwöhnt. Wie sehr hat er uns in den Bann gezogen, nicht nur seine Fälle aufgeklärt, sondern uns auch Frankreich und Paris nähergebracht. Doch endlich gibt es einen würdigen Nachfolger für Kommissar Maigret, den wir Alex Lépic zu verdanken haben.

Alex Lépic ist gebürtiger Franzose, in Deutschland aufgewachsen, und ein echter Paris-Kenner, das man unschwer in seinem ersten in Deutsch geschriebenen Roman „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“ erkennen kann.

Commissaire Lacroix – immer mit Hut, Mantel und Pfeife ausgerüstet – muss sich gleich nach seinem Sommerurlaub mit einem schwierigen Fall beschäftigen. Eigentlich arbeitet er im Kommissariat des 5./6. Arrondissement, das sich ganz nah am Boulevard Saint Germain in der Rue de La Montagne-Sainte-Geniève im 5. Arrondissment von Paris befindet. Es ist ein sehr hässliches Gebäude und verfügt auch noch über das Musée de la préfecture de Police, was so manche komische Begegnung mit Schulklassen etc. mit sich bringt. Doch dieses Mal brauchen die Kollegen aus dem 1. Arrondissement dringend Unterstützung, denn ein Toter Clochard liegt unter der berühmten und ältesten Brücke von Paris, dem Pont Neuf. Er wurde auf perfide und perfektionnistische Art und Weise mit dem Messer getötet.

Zwei Mitarbeiter, eine junge Polizistin – stammt aus dem Überseedépartement Mayotte – und ein Polizist – Korse – unterstützen Lacroix bei seinen Aufgaben und Recherchen. Der Fall ist sehr verzwickt und lässt den schönen Urlaub mit seiner Frau Dominique gleich wieder in Vergessenheit geraten. Aber auch seine Frau, Bürgermeisterin des 7. Arrondissements, ist auch wie immer schnell in ihren Arbeitsalltag zurückgekehrt.

Glücklicherweise kann er noch auf die Unterstützung seines Priester-Bruders Pierre-Richard zurückgreifen, der in Paris gerade in der Obdachlosen-Szene so einige wichtige Kontakte hat. Und dann gab es noch Yvonne, die Wirtin seines Stammlokals „Chai de l’Abbaye“, die sich nicht nur um das kulinarische Wohl während der Arbeitszeiten von Commissaire Lacroix kümmerte, sondern auch Gott und Welt in ganz Paris kannte.

Die ersten Spuren bei dem toten Clochard unter dem Pont Neuf führen zu einer potentiellen Bettler-Mafia, die angeblich Gelder von sämtlichen Obdachlosen in dieser Gegend eintrieben. Der Verdacht fällt auf zwei Brüder und bevor diesem Verdacht genau nachgegangen werden konnte, gibt es schon den zweiten Toten, wieder ein Obdachloser. Die Lage spitzt sich zu, es sieht nach einem Serienmord aus und nun ist auch Commissaire Lacroix trotz seiner grossen Erfahrungen unter Druck…

Alex Lépic ist ein Wunder gelungen, denn Commaissaire Lacroix ist mehr als nur ein würdiger „Nachfolger“ von Maigret. Lacroix ist so perfekt in die aktuelle Zeit gesetzt, dass man es nicht besser machen könnte. Der Krimi ist sehr gut aufgebaut, subtil, fein und äusserst spannend erzählt. Alle Personen in diesem Roman haben ihre Eigenarten, es ist von furchteinflössend, skurill, amüsant und verrückt alles vorhanden.

Alex Lépic schreibt wunderbar, endlich mal wieder ein Krimi, der sich so richtig gut liest und der einem das Paris des 21. Jahrhunderts mit all seinen schönen, aber eben auch mit seinen Problemen und Schattenseiten zeigt. Man taucht ein in die sogenannten Pariser Welten und möchte wegen des so sympathischen Personals und wegen der Spannung und Dramatik gar nicht mir auftauchen. Deshalb hoffen wir sehr, dass nach diesem grandiosen ersten Fall, der Zweite bald folgen wird…!

Durchgelesen – „Die Teufelssonate“ v. Alex van Galen

Musik kann Leidenschaft erzeugen, Musik kann aber auch zur Obsession werden, wodurch die Grenzen zwischen Genie und Wahnsinn kaum mehr erkennbar sind. Will man die Macht der Musik begreifen, braucht man nur die einzelnen Biographien berühmter Musiker und Komponisten studieren, und man wird zu den ungewöhnlichsten Erkenntnissen kommen. Als wahrlich einfachere und unterhaltsamere Alternative dazu empfiehlt sich dieser faszinierende und sehr fesselnde Roman « Die Teufelssonate » !

Alex van Galen wurde 1965 geboren. Bereits als Kind hatte er durch einen ungewöhnlichen Zufall auf seinem Schulweg den Konzertpianisten Jan Beekmans aus Brabant gehört. Van Galen wurde durch einen wunderbaren Kontakt sein einziger Privatschüler. Aus dieser Schüler-Lehrer-Beziehung entwickelte sich eine sehr wichtige Freundschaft, die van Galen noch heute in seiner Arbeit als Schriftsteller beeinflusst. Er studierte Literaturwissenschaft an der Universität Utrecht und arbeitete sehr erfolgreich als Drehbuch-schreiber für das Fernsehen. « Die Teufelssonate » ist sein zweiter Roman, der bereits in den Niederlanden in kürzester Zeit zu einem unglaublich grossen Erfolg wurde.

« Die Teufelssonate » spielt in Paris und Amsterdam. Der Hauptprotagonist ist Mikhael Notovich. Er ist nicht nur ein berühmter Pianist, sondern auch ein Frauenverführer und ungebremster Exzentriker, mit dem Hang zu manisch-depressiven Anwandlungen, die ihm nicht nur sein Musikleben kosten, sondern auch andere Menschen in seinem Umfeld verstören und zerstören.

Notovich ist besessen von der Musik, doch trotzdem lernt er immer wieder besondere Frauen kennen. In diesem Fall ist es die junge unbekannte Künstlerin Senna. Sie macht ihn mit ihrer Art einerseits wahnsinnig, andererseits kann er aber ohne sie nicht leben. Sie selbst ist eine sehr schwierige Persönlichkeit, lässt sich treiben, ist mal da, mal dort. Doch Notovich ist ganz verrückt nach ihr und versucht Liebe und Musik unter einen Hut zu bringen. Doch wenn er sich der Musik und hauptsächlich seinem grossen Idol dem Komponisten Franz Liszt hingibt, vergisst er alles um sich herum. Es spielt sich in Trance und verliert jeglichen Bezug zur Wirklichkeit. Und so kommt es dass er sein letztes öffentliches Konzert in einem Pariser Theater musikalisch sehr riskant, aber trotzdem mutig beginnt :

« Notovich fing an zu spielen. Ein Präludium stand auf dem Programm, aber er hielt sich nie an Programme. Er begann mit der fünften Transzendentalen Etüde von Franz Liszt. Diese Etüde ist schwindelerregend schwierig, beinahe unspielbar. Kein normal denkender Mensch würde ein Konzert damit eröffnen. »

Er spielte sich in einen wahren Rausch und bemerkte keine Sekunde, dass seine Hände voller Blut waren. Der Direktor des Theaters unterbrach das Konzert und zwei Polizisten führten Notovich ab. Er wurde verdächtigt, seine grosse Liebe Senna getötet zu haben. Doch Notovich erinnerte sich an gar nichts, er hatte oft Blackouts, auch beim Spielen. Die Polizei konnte ihm nichts konkretes nachweisen, deshalb verlässt er Paris und geht nach Amsterdam. Doch da taucht plötzlich sein Konkurrent Valdin auf. Er lädt Notovich zu einem geheimen Konzert ein und fordert ihn zu einem Pianisten – Duell heraus. Valdin provoziert ihn in Punkto seiner Besessenheit bezüglich der Liszt’schen Kompositionen und versucht ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Denn Valdin ist der Einzige, der das Geheimnis um den Tod von Senna in allen Details kennt…

Der Thriller nimmt seinen rasanten Lauf. Wir befinden uns in einem Rausch, der verwoben ist mit Liebe, Leidenschaft, Hass, Enttäuschung und sehr viel emotionaler Musik von Chopin, Rachmaninoff und natürlich von Franz Liszt. Und  nach knapp vierhundert Seiten erwacht der Leser aus einem musikalischen Höllen-Traum, der die Musik nicht nur von seiner freundlich hellen, sondern besonders auch von seiner absolut düsteren Seite zeigt.

Alex van Galen ist mit seiner « Teufelssonate » ein atemberaubendes Buch gelungen, das durch die anspruchsvolle Sprache, die subtile Spannung, die einen immer mal wieder an Alfred Hitchcock erinnert, und durch die sehr fundierten Informationen über Pianisten und Komponisten beeindruckt. Gleichzeitig spürt man bei diesem Buch auch die Kunst des Drehbuch-schreibers, der hier am Werk ist. Rückblenden und Gegenwart im ständigen Wechsel, die feine Charakterisierung der Hauptakteure und die ständige Präsenz der Musik, all dies würde sich ganz wunderbar in einen Film verwandeln lassen. Man sieht die zwei Klaviervirtuosen direkt vor den lesenden Augen, «hört» das Spiel und fühlt sich dadurch immer mal wieder an berühmte Pianisten erinnert, wie beispielsweise Sviatoslav Richter – der auch nur im Dunkeln mit einem kleinen Spot für die Klaviertasten spielte – oder Lazar Berman – der Hände wie ein Bär hatte und mehr als eine Oktave greifen konnte – .

Diese Bildhaftigkeit macht diesen Roman zu einem sehr starken literarischen und extrem spannenden Musikerlebnis. Deshalb ist dieser Pianistenthriller eine richtig gute Lektüre für jeden Klaviermusikliebhaber, der mit Chopin, Liszt und Rachmaninoff vertraut ist. Aber auch der vielleicht nicht ganz so klassik-erfahrene Krimileser wird mit «Der Teufelssonate » auf seine Kosten kommen, denn sie ist mehr als packend und mitreißend. Man könnte von einem echten « Pageturner » sprechen, der darüberhinaus dem Leser noch zusätzlich die wunderbare Welt der Klaviermusik eröffnen kann. Denn was gäbe es nach der Lektüre nicht Schöneres als die berühmte und sehr emotionale Sonate h-moll von Liszt neu oder wieder zu entdecken und dieses grossartige Buch mit all seiner Musikalität nochmals nachwirken zu lassen !

Durchgelesen – „Das finstere Tal“ v. Thomas Willmann

Das finstere Tal“ ist ein ungewöhnlicher Roman. Ein Roman, der sich zwischen den drei Genres Heimatroman, Krimi und Western manchmal nicht entscheiden kann und deshalb den Leser extrem in seinen Bann zieht. Die Dramatik dieser Rachegeschichte wird langsam und äusserst subtil aufgebaut, was Thomas Willmann in seinem Debüt-Roman wahrlich grandios gelingt.

Thomas Willmann studierte Musikwissenschaft und machte bereits erste journalistische Erfahrungen während eines Auslandssemesters in den USA. Inzwischen ist er als freier Journalist tätig und hat daneben verschiedene Lehraufträge an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität mit Schwerpunktthema Filmmusik. Seit 2007 ist er auch als Übersetzer tätig.

„Das finstere Tal“ fordert den Leser von der ersten Seite an mit grösster Aufmerksamkeit dem Fremden namens Greider auf dem Weg in ein abgelegenes Tal in den Alpen zu folgen. Die Sprache, die vielleicht anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig ist, da sie sehr bildreich, teilweise etwas schwülstig und altmodisch erscheinen mag, spielt in diesem Roman eine tragende Rolle. Der Hauptprotagonist ist jedoch ein Fremder namens Greider.

Greider erreicht nach einer langen Reise auf seinem Maultier endlich das Hochtal, in dem sich ganz versteckt ein kleines Dorf befindet. Beobachtet von der eingeschworenen Dorfgemeinde reitet er in die Mitte des Dorfes, spürt die Abwehr der Männer, fühlt sich sofort als Eindringling, lässt sich aber nicht weiter dadurch irritieren. Greider fragt nach einem Quartier und erklärt, dass er Maler ist. Nach langem Hin und Her wird ihm auf dem Hof der Witwe Gader, den sie mit ihrer Tochter Luzi bewirtschaftet, eine Unterkunft zugewiesen:

„« Sie san also Maler? » begann sie einen Fragenreigen, mit dem sie Greider so viel als möglich über sich, seine Herkunft, seine Absichten, das Leben in der weiten Welt da draussen entlocken wollte – worauf der ihr nur Antworten bescherte, die zwar höflich und freiheraus daherkamen, die aber doch stets knapp und sehr im Allgemeinen blieben. …. Zugleich nutzte der Gast jede Möglichkeit, seine Antworten in Gegenfragen zu kehren, und hatte mit diesen bei der offenherzigen Frau ergiebigeren Erfolg.“

Dies war auch gleichzeitig die Gelegenheit, das Gespräch auf die sechs Männer zu lenken, die ihn zum Haus der Witwe Gader begleitet hatten. Es stellte sich heraus, dass dies die Söhne des allmächtigen Brenner-Bauern waren. Greider war entschlossen nach und nach das Dorf, die Landschaft, die Bauern, kurzum das ganze Tal zu erkunden. Ausgerüstet mit Pinsel und Leinwand beobachtet er die Menschen und hält malenderweise die eigenartige Stimmung fest. Eine positive Fassade, die sich künstlerisch darstellen lässt, die aber nicht im Geringsten das Böse und Düstere verstecken kann. Alles scheint so in seinen Bahnen zu laufen; die Dorfbewohner beruhigen sich langsam wieder, nachdem der Fremde seinen Platz gefunden hat. Doch plötzlich erschüttert das Dorf eine mysteriöse Todesserie. Zu erst verunglückt der jüngste Sohn des Brenner Bauern beim Holzfällen und dann wird auch noch einer seiner Brüder im Mühlbach tot aufgefunden.

Ab diesem Zeitpunkt vollzieht sich ein Wendepunkt in diesem Roman. Flankiert von dramatischen Flash-Backs beschreibt Greider die Vergangenheit seiner Mutter, die mit diesem Dorf und dem Dorfherrscher Brenner unwiderruflich verknüpft ist. Es beginnt eine dramatische Aufarbeitungsgeschichte, die Greider zum Rächer, aber auch zum Retter werden lässt. Mit aller Gewalt versucht er die inzestuösen Machtstrukturen aufzubrechen. Er tauscht sein Werkzeug. Das Gewehr tritt an die Stelle des Pinsels und der Show-Down beginnt …

„Das finstere Tal“ ist ein grossartiges Werk. Thomas Willmann verleiht seiner besonderen Sprache eine Macht, die man selten im klassischen Heimatroman, Western oder Krimi finden kann. Die wenigen Dialoge bestechen durch ihre Kargheit, die Beschreibungen und Schilderungen der extremsten Situationen werden literarisch auf ein unglaublich hohes Niveau katapultiert, so dass man als Leser vor dieser fantastischen Erzählkunst nur noch den Hut ziehen kann. Die Geschichte ist erschütternd, manchmal fast schon brutal, trotzdem feinsinnig und gleichzeitig sehr imposant.

„Das finstere Tal“ ist ein wahnsinnig spannender und atmosphärisch dichter Roman über Liebe, Tod, Schuld und Vergeltung. Beginnen Sie einfach zu lesen und sie werden das Buch nicht mehr weglegen können, denn sie reiten ab der ersten Seite durch einen schaurig-schönen Heimatroman über einen subtilen Krimi in einen dramatischen Western hinein!