Durchgelesen – „Hôtel du Nord“ v. Eugène Dabit

Hotels sind heute und waren damals nicht nur gute, exklusive und schicke Übernachtungsmöglichkeiten, um eine andere Stadt zu erkunden oder sich zu erholen. Hotels können und konnten vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts den Menschen, eine Art Ersatz-Zuhause bieten und wurden als so genannte Wohn-Hotels genutzt. Und genau von so einem Hotel und deren Bewohnern erzählt der bereits 1929 veröffentlichte Roman „Hôtel du Nord“ von Eugène Dabit.

Eugène Dabit (1898 – 1936) wuchs in Paris als Kind von Arbeiter-Eltern auf und erlebte eine zwar einfache aber nicht weniger glückliche Kindheit, obwohl die Eltern oft wegen ihrer Arbeitsstelle umziehen mussten. 1911 hatte er mit dem Certificat d’études primaires seine für ihn doch eher langweilige Schulzeit beendet und konnte 1912 seine Lehre als Schlosser beginnen. Jedoch wurde diese durch den 1. Weltkrieg schlagartig unterbrochen. Er versuchte mit Vortäuschen von psychischen Problemen und einem Selbstmordversuch dem Militärdienst zu entkommen. Er wurde jedoch bei Kämpfen in der Nähe von Reims verwundet und konnte danach nur noch in einem Büro der Armee arbeiten. Bereits während der Lehre wurde Dabits zeichnerisches Talent erkennbar und somit begann er ab 1919 ein Studium der Malerei an zwei verschiedenen Pariser Akademien.
Über Freunde entdeckte er neben der Malerei auch die Literatur und las neben Baudelaire, Rimbaud, Stendhal auch Gide. 1923 kauften seine Eltern mit der Hilfe eines Kredits von einem Onkel ein Hotel in Paris, das Hôtel du Nord, in der Nähe des Canal St. Martin am Quai des Jemmapes im 10. Arrondissement. Anfänglich arbeitete er dort als Nachtportier, letztendlich wurde er später selbst Geschäftsführer dieses Hotels, welches ihn in seinen schriftstellerischen Arbeiten stark beeinflusste. Alle seine Beobachtungen und Erfahrungen als Mitarbeiter und Hotelier können wir nun – dank der hervorragenden Neuübersetzung von Julia Schoch – in seinem bis heute in Frankreich als absoluten Klassiker zählenden Roman „Hôtel du Nord“ miterleben, durch den übrigens 1931 Eugène Dabit mit dem Prix du Roman populiste als erster Preisträger überhaupt ausgezeichnet wurde.

Der Roman spielt in der gleichen Zeit, während welcher die Eltern von Eugène Dabit dieses Hotel in Paris erworben hatten. Die Hauptdarsteller sind zum einen die neuen Besitzer des Hotels – Emile und Louise Lecouvreur – und natürlich die zum Teil doch lang verweilenden und aber auch regelmässig wechselnden Hotelgäste.

Das Hotel war ein besonderer Ort, es war ein sogenanntes Wohn-Hotel, in dem Gäste nicht nur für ein oder zwei Nächte blieben, hier wohnten die Gäste zum Teil für mehrere Wochen oder Monate, konnten in ihren Zimmern, die teilweise mit einer kleinen Kochecke ausgestattet waren, sich selbst versorgen. Auch wenn das Hotel über ein gut bürgerliches Restaurant verfügte, zog doch so mancher Gast die Intimität beim Essen in seinem Zimmer vor.

Louise und Emile Lecouvreur haben mit Hilfe eines Maklers und durch die finanzielle Unterstützung der Familie dieses Hotel erwerben können. Der Vorbesitzer suchte dringend einen Nachfolger und somit war das Geschäft in doch sehr kurzer Zeit abgewickelt. Mit viel Engagement und Herzblut hatten die Lecouvreurs sehr schnell eine gute und angenehme Atmosphäre in ihrem neuen Zuhause und damit auch in ihrem Hotel nicht nur sich selbst sondern auch ihren Gästen bereiten können. Sie suchten ein neues Dienstmädchen, kümmerten sich um die Langzeitgäste nicht weniger intensiv, als um die Kurzbewohner und die reinen Tagesgäste im Restaurant, sei es nur zum unkomplizierten Frühstück oder doch auch zum reichlich und schmackhaft gekochten Mittagsmahl. Aber auch all abendliche Kartenspieler wurden genauso herzlich bedient und fühlten sich im neu geführten Hôtel du Nord wohl. Manchmal gab es jedoch auch Probleme mit den Gästen, die nicht immer sofort und unkompliziert gelöst werden konnten:

„Lecouvreur war im Kneipengewerbe noch ein Neuling. Er wusste nicht, wie man Nervensägen loswird, die ihn wegen einer Runde anpumpten, oder Besoffene, die stundenlang am Tresen rumhingen. Jeden Abend vor Ladenschluss landete irgendein Säufer bei ihm, Kutscher oder Auslader.“

Die Probleme lagen aber nicht nur an den täglichen und eher kleinen Schwierigkeiten mit so manchem Gast, der nicht wusste, wann es genug war oder nicht. Nein, die Probleme gingen zum Teil soweit, dass ausgerechnet auch noch das erst kürzlich eingestellte Dienstmädchen schwanger wurde. Und so war auch Madame Lecouvreur mehr als nur in ihrer Funktion der Hotelchefin gefragt und musste sich nicht nur in diesem Fall um zwischenmenschliche Probleme und Sorgen sowohl bei ihren Angestellten als auch bei den Gästen kümmern…

Dieser Roman ist – wie bereits oben schon erwähnt – ein französischer Klassiker, denn er zeigt Paris von einer ganz anderen Seite, und bietet nicht nur den neuen Hotelbesitzern, sondern auch den Gästen eine grosse Bühne für all ihre Befindlichkeiten, ob positiv oder negativ. Dieser Roman ist fast wie eine Art Theater-Stück konzipiert, das die verschiedensten Rollen vergeben hat, um uns Leser an den einzelnen Schicksalen zu dieser Zeit und in dieser besonderen Gesellschaft teilzuhaben.

Der Erfolg dieses Romans – auch stark beeinflusst durch die Fürsprache von André Gide – öffnet dem Autor Eugène Dabit eine ganz besondere und wichtige Tür im Bereich der Literatur. Damit durfte er von nun ab Artikel für die grosse und berühmte Literaturzeitschrift „La Nouvelle Revue Française“ schreiben, die dem berühmten Pariser Verleger Gallimard gehörte. Ab 1930 wurden dann alle Bücher von Dabit in diesem Verlagshaus veröffentlicht, was eine sehr grosse Anerkennung bedeutete.

„Hôtel du Nord“ ist einerseits eine romaneske Gesellschaftsstudie der Stadt Paris der zwanziger Jahre, andererseits auch eine Art Gemälde vor allem dieses Quartiers, wo man die malerische Begabung des Autors bei jedem fast wie mit dem Pinsel geführt geschrieben Wort verspürt. Hier treffen wir noch auf einfache Berufsstände, wie Kutscher und Wäscherinnen, die heute in dieser Form nicht mehr existieren. Eugène Dabit öffnet einen ganz anderen Blick auf die auch schon damals grosse Metropole Paris, der eine ganz neue und unverbrauchte Suche nach dem Glück vermittelt, die für uns aktuell nicht mehr vorstellbar ist.

Dieser Roman beeindruckt nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich, ab der ersten Seite und es ist ein wahrer literarischer Glücksfall, dass dieses wichtige Werk der französischen Literatur nun endlich in dieser fabelhaften Neuübersetzung dem deutschsprachigen Publikum präsentiert werden kann. Und wer in Paris nicht nur auf den klassischen Touristenpfaden wandern möchte, kann dieses Hotel noch heute am Quai de Jammapes entdecken oder sich auch mit der berühmten Romanverfilmung (1938) von Marcel Carné in das Paris von Eugène Dabit verführen lassen!

Durchgelesen – „Das Zimmermädchen“ v. Markus Orths

„Das Zimmermädchen“ ist die ideale Lektüre für eine schlaflose Nacht in einem Hotelbett. Vielleicht werden Sie dann gar nicht mehr schlafen, denn spätestens nach den ersten dreissig Seiten verspüren Sie eine gewisse Unruhe! Markus Orths präsentiert uns einen verrückten Roman, oder sollte man besser sagen – eine groteske Novelle bei knapp 140 Seiten- , der den Leser fesselt und berauscht.

Markus Orths, geboren 1969 in Viersen, studierte Philosophie, Romanistik und Englisch. Seine Erzählungen und Romane wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderpreis des Marburger Literaturpreises (2003), dem Heinrich-Heine-Stipendium (2006), dem Walter-Scott-Preis (2006) und dem Telekom-Austria-Preis in Klagenfurt (2008). Er lebt und schreibt in Karlsruhe.

„Das Zimmermädchen“ ist das psychosoziale Porträt einer junger Frau, die – nach einem längeren Aufenthalt in der Psychiatrie -, versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Hauptprotagonistin Lynn Zapatek, eigentlich heisst sie mit Vornamen Linda Maria, ist 1975 geboren, einsfünfundsechzig gross, hat braune Haare und grüne Augen. Sie wurde von ihrem Freund Heinz verlassen und kehrt nun nach sechsmonatiger stationärer psychotherapeutischer Behandlung wieder zurück in ihre Wohnung.

Lynn ist eine rastlose Frau, sie muss ständig etwas tun. Ruhe ist für sie unerträglich, trotz des Klinikaufenthaltes spürt sie, dass sich nichts bei ihr verändert hat. Sie fühlte sich bereits als Patientin unverstanden, sie sollte an sich arbeiten, sie sollte sich ihrer Vergangenheit stellen und Widerstand leisten. Jetzt ist sie zu Hause, hat keine Arbeit mehr und kein Geld. Ihre Mutter zahlt bereits die Miete, deshalb will sie nicht mehr von ihr verlangen. Sie trifft sich mit Heinz, er macht ihr klar, dass es definitiv vorbei ist. Doch glücklicherweise gibt es bald eine neue berufliche Perspektive für sie:

„Ihr Leben läuft wie am Schnürchen. Lynn steht auf, am Morgen, putzt sich, dann die Hotelzimmer, sie hat den Job bekommen, Heinz hat ihn ihr besorgt, und der Therapeut warf ein Wort in den Raum, das alles enthielt: Konfrontationstherapie. Gutachten, Gespräche, Vertrag, Probezeit, Kündigung schon beim geringsten Vergehen. Vergehen, denkt Lynn. Die Zeit begeht jede Menge Vergehen. Jeder Tag ist ein Vergehen. Und Lynn tut die Dinge gleichmässig.“

Lynn putzt, was das Zeug hält. Sie ist mehr als gründlich, sie findet Dreck, wo keiner ist. Entdeckt noch Staub, wo bereits gesaugt wurde. Das Putzen wird obsessiv, man könnte fast schon von einem pathologischen Putz-Zwang sprechen. Lynn bleibt immer länger, macht Überstunden, obwohl diese nicht bezahlt werden. Aber die Abende und Nächte zu Hause sind für sie schwierig. Sie fühlt sich nur in „ihren“ Hotelzimmern wohl. Mit Übereifer stürzt sie sich immer mehr in die Arbeit und entwickelt dazu noch eine Neugierde für die privaten Dinge der Gäste, die sie im Zimmer liegen lassen. Schnüffelt herum, schaut in die Kulturbeutel, liest Notizen und riecht an der Kleidung. Als sie jedoch beim Probieren einer Pyjamajacke beinahe erwischt wird und sich gerade noch rechtzeitig unter dem Bett verstecken kann, bevor der Hotelgast sein Zimmer betritt, entdeckt sie etwas ganz neues! Eine neue Perspektive, aus der sie alles beobachten kann, aber selbst unerkannt bleibt. Sie spürt, dass diese spontane Versteckaktion, welche eine ganze Nacht gedauert hat, nicht die letzte bleiben würde und beschliesst danach, sich jeden Dienstag unter ein Hotelbett zu legen:

„Siebter Dienstag, Zimmer 304, Lynn liegt unterm Bett eines Mannes. Der ist im Bad. Da klopft es an der Tür. Das Klopfen wird lauter. Lynn sieht Beine, die aus dem Bad kommen, die nackten Füsse hinterlassen Wasserflecken auf dem Teppich, der Mann öffnet die Tür, sagt, na, komm rein, er sagt es in einem rauen Tonfall, als wolle er besonders dreckig klingen, schliesst die Tür ab, Lynn hört eine Frauenstimme. Unterm Bett ist es nicht kalt. Lynn legt die Hände unter die Hüfte, wölbt ihr Geschlecht ein wenig, hin zur Unterseite des Betts, sucht bequeme Stellung, hält den Atem an.“

Dieser Abend wird für Lynn einiges verändern. Sie bleibt nicht die ganze Nacht unter dem Bett, sondern kriecht hervor, nachdem die Frau gegangen war und der Mann unter der Dusche stand. Sie schreibt sich noch die Telefonnummer ab von der Visitenkarte der Frau, welche Chiara heisst. Ab diesem Erlebnis dreht sich alles in ihrem Kopf. Sie legt sich nach wie vor jeden Dienstag unter ein Bett, lebt ihren Putzfimmel aus, reinigt sogar unbenutzte Zimmer und sie überlegt intensiv, ob sie Chiara anrufen soll. Sie tut es ….

„Das Zimmermädchen“ ist  gleichzeitig ein spannungsreiches und amüsantes Lesevergnügen, auch wenn das eigentliche Thema dieser Geschichte – die unerfüllte Sehnsucht nach einem anderen Leben – eher deprimierend sein könnte. Doch Markus Orths ist wie ein Zauberer. Er enthüllt in dieser kurzen Prosa den eigenwilligen Charakter dieser jungen Frau mit seiner Sprachkunst, die aus äusserst knappen und schnellen Sätzen besteht, welche die Obsessivität des Putzen brillant darstellt. Sensibel, aber trotzdem direkt, zeichnet er ein sehr subtiles Porträt dieser jungen Frau, die versucht, ihren Konflikt zwischen Chaos und Ordnung im Leben zu lösen. Ob das Putzen dabei hilft, ist sicher fraglich. Man könnte jedoch keinesfalls eine bessere Metapher für die Leere des Lebens finden!

Das Zimmermädchen“ ist ein verrücktes kleines Buch. Es fasziniert, macht neugierig, zieht in den Bann und wird den Leser auch nach der Lektüre gedanklich weiter begleiten, spätestens dann, wenn er bei seiner nächsten Reise auf seinem Hotelbett liegt. Lesen Sie dieses Buch: es ist packend, komisch, lustvoll, aber auch sehr tiefsinnig!

Erich Kästner – Gedicht

Wintersport

Wohin man sieht, sieht man Hotels.
Und ringsherum liegt Schnee.
Die Tannen tragen weissen Pelz,
Die Damen Seal und Feh.

Die Leute fahren Bob und Ski
am Hange hinterm Haus.
Ja, und von weitem sehen sie
wie Sommersprossen aus.

Das Publikum ist möglichst laut.
Was tut das der Natur?
sie wurde nicht für es gebaut.
und schweigt. Und lächelt nur.

Im Kreise ihres Damenflors
sind alle Mann im Schnee:
Direktors, Doktors und Majors.
und Blubbers-Übersee.
Of course!

Wohin man sieht, sieht man Hotels.
Für Schnee ist kaum noch Platz.
Die Luft ist dick von Ouis und Well’s
Und Five o’clocks mit Jazz.

Die Berge und der Wasserfall
verlieren jeden Sinn.
Am Donnerstag ist Lumpenball.
Da passen manche hin!

Sie können nie bescheiden sein
und finden alles nett.
Und glauben, die Natur sei ein
Komfort wie das Klosett.

Lawinen sausen dann und wann
und werden sehr gerügt.
Was gehn den Schnee die Leute an?
Er fällt. Und das genügt.