Durchgelesen – „Leben und Ansichten von Maf dem Hund und seiner Freundin Marilyn Monroe“ v. Andrew O’Hagan

Wer kennt sie nicht, Marilyn Monroe, eine Ikone, ein Mythos, eine Schauspielerin, aber auch eine sehr verletzliche Frau, die immer auf der Suche war! Bestimmt wären viele Menschen ihr sehr gerne nahe gewesen, wie eine Freundin bzw. ein Freund oder besser noch wie ein Hund, der er ihr treu ergeben wäre, aber auch sich instinktiv um ihr Seelenheil kümmern würde. Umso mehr freuen wir uns als Leser, nun die literarische Bekanntschaft mit genau so einem vierpfotigen und bellenden Begleiter machen zu dürfen, der uns das Leben an der Seite von Marilyn Monroe auf äusserst intellektuelle und empathische Weise erläutert.

Dieses grandiose Buch über eine unglaubliche « Freundschaft » schenkt uns Andrew O’Hagan (geboren 1968 in Glasgow). Er zählt zu den neuen aufstrebenden und inzwischen auch wichtigsten Schriftstellern Grossbritanniens und ist Creative Writing Fellow am King’s College London. Seine Erzählungen und Romane wurden bereits in 15 Sprachen übersetzt und seine Essays und Artikel erscheinen unter anderem in der London Review of Books, New York Review of Books, The Guardian und im New Yorker. Darüberhinaus ist er auch noch als Botschafter bei UNICEF tätig. Mit seinem Roman « Leben und Ansichten von Maf dem Hund und seiner Freundin Marilyn Monroe », der bereits 2010 in Grossbritannien erschienen ist, gewann er den Glenfiddich Spirit of Scottland Award.

Die Geschichte wird aus der Sicht des Hundes rückwirkend erzählt und beginnt 1960 in Grossbritannien. Ein kleiner weisser, reinrassiger Malteserhund erblickte das Licht der Welt in Charleston. Er wuchs bei der Schwester von Virginia Woolf auf und wurde liebevoll von deren Haushälterin Mrs Higgins betreut. Doch lange sollte er nicht in England bleiben, sondern nach Amerika reisen. Eines Tages erwartete man die Hundeliebhaberin Mrs. Gurdin, eine russische Emigrantin und Mutter des Filmstars Natalie Wood, die sich sehr für Malteser interessierte, denn bei dieser Rasse handelte es sich um ganz besondere Hunde:

« Jeder Hund, der sein Futter wert ist, ist ein Quell der Expertise, was seinen Stammbaum angeht. Uns Maltesern – dem bichon maltais, dem Hund der römischen Damen, dem alten King Charles Spaniel, dem Malteser Löwenhund oder Malteser Terrier – lässt man es durchgehen, das wir uns für die Aristokraten der Hundewelt halten. »

Mrs. Gurdin brachte den weissen Malteser mit einem kleinen Zwischenstopp in London per Pan-American-Flug nach Los Angeles. Aber nicht nur der Malteser noch ein paar andere Hunde wurden von Mrs. Gurdin aufgenommen. Die Fahrt von der Quarantänestation entwickelte sich zu einem interessanten « Gesprächsaustausch » so unter Vierbeinern, ein Schnauzer äusserte sich dabei ganz konkret :

« “ In Wahrheit wissen die Menschen, dass wir sie studieren“, sagte er, “ und die schlauen wissen auch, dass wir über sie reden. Die Menschen sind nicht dumm. Sie verhalten sich nur so, als ob sie es wären.“ »

Jetzt galt es die Zeit ein wenig zu überbrücken, bis dieser Malteser endlich sein neues Frauchen kennenlernen durfte. Es dauerte nicht lange und Natalie Wood – Tochter v. Mrs. Gurdin – erklärte ihrer Mutter, dass Frank Sinatra einen Hund kaufen möchte und bald vorbeikäme. Frank holte den Hund persönlich ab :

« „He, ich war etwas daneben, Freund“ sagte er, streichelte und schnippte mein Ohr. “ Ich hätte hallo sagen sollen, als ich gekommen bin. He, Junge. Du bist das Geschenk für Marilyn.“ »

Und so begleitete der Malteser zuerst Frank in sein Haus und war mehr als pikiert über die Wohnsituation, die Farben und den Umgangston von Frank. Da konnte man als Hund nur noch überleben, wenn man sich an die grossen Philosophen wie beispielsweise Descartes erinnerte und Autoren wie Adorno einem immer wieder in den Sinn kamen. Endlich ging es nach ein paar Tagen per Privatflugzeug mit Frank Sinatra nach New York und der Malteser konnte nun bald seine neue « Freundin » treffen. Bereits die Dienstboten hatten bei der Begrüssung von Frank ihre Entzückungsrufe über diesen Hund ausgedrückt und auch Marilyn konnte ihre Begeisterung kaum zurückhalten und freute sich sehr über dieses « tierische » Geschenk. Er gefiel ihr sofort, sie meinte er hätte Stil und Charme und wäre ein stattlicher kleiner Bursche. Jetzt fehlte nur noch der passende Name :

« „Er ist ein hartgesottener kleiner Kerl, nicht war ? Ich werde ihn Mafia nennen – Mafia Honey.“ »

Der Malteser wurde nun Mafia Honey genannt, kurz einfach nur Maf. Er war glücklich, endlich nach so vielen Reisen bei seinem richtigen Frauchen angekommen zu sein. Er hatte sich schnell heimisch gefühlt, wurde buchstäblich mit den besten Köstlichkeiten verwöhnt, als würde er im Paradies leben. Doch trotz dieser vielen Annehmlichkeiten, liess er sich nicht ablenken und versuchte Marilyn und ihre drei « Leben » als Mensch, Frau und Filmstar genauer unter die Lupe zu nehmen, sie zu beobachten, zu verstehen und in schwierigen Situationen zu unterstützen und zu trösten. Nach kurzer Zeit spürte Maf, dass die Trennung zwischen Arthur Miller und Marilyn Monroe nicht spurlos an seinem Frauchen vorübergegangen war. Doch trotz allem wurde auch ein Hauch von Befreiung erkennbar, der sowohl Marilyn als auch ihm, als Hund und treuen Gefährten gut tat :

« Marilyn nahm mich überallhin mit. Wir hatten grossen Spass dabei, die Avenues entlangzugehen, Marilyn trug manchmal ein Kopftuch und eine Sonnenbrille, niemand erkannte sie, und wir liefen mit offenen Mündern gegen den Wind und hungerten nach Erfahrungen. Ich glaube, uns war ein Gespür für die Nöte der Zeit gemeinsam, der Instinkt, die Distanz zwischen oben und unten aufzuheben, etwas, was sich im Lauf der entwickelte und die Tiefe unserer Freundschaft erklärte. »

Und so begann die fast zwei Jahre andauernde « Freundschaft » zwischen Marilyn Monroe und dem Malteser Maf, die geprägt war durch absolutes Vertrauen, da Maf ein wahrer « Hunde-besitzerinnenversteher » war, und sich auszeichnete durch eine bedingungslose Offenheit, die es sicherlich in dieser Form selten unter Menschen geben kann und wird…

Maf, der Hauptprotagonist, dieses Romans hatte nun die Ehre einer Ikone, eines Stars wie Marilyn Monroe, sehr nahe zu sein. O’Hagan hat mit dieser vierbeinigen « Figur » einen wahren Glücksgriff erzielt. Es ist eine absolut grandiose Idee, Marilyn Monroe aus der Sicht eines Hundes zu charakterisieren, zu erleben, zu beschreiben, quasi hautnah kennenzulernen. Unvoreingenommen kann der Hund all seine Gedanken in den Raum stellen, über die Filmbranche, die Politik und vieles andere nicht nur Tacheles reden, sondern sich auch auf philosophische Weise lustig machen. Es wird ihm keiner verüblen, vor allem nicht sein Frauchen, selbst dann nicht, wenn er aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen Hund und Mensch – seine « Freundin » natürlich ausgeschlossen -, dem « Zweibeiner » als Reaktion mit seinen Zähnen einen klaren « Kommentar » in der Wade hinterlässt.

Diese Kunst, den Hund sprechen, ja fast schon « Mensch » werden zu lassen, mag ein Autor in dieser brillanten Form nur dann zu realisieren, wenn er sich in der Hunde- und Filmwelt auskennt. Dieser Roman ist keinesfalls eine leichte Geschichte aus Hundeperspektive. Umso wichtiger ist es, dieses Buch nicht falsch einzuschätzen. Dieses Werk ist äusserst anspruchsvoll, das mit Ruhe und Aufmerksamkeit gelesen werden sollte. Denn nur dann kann man die Affinität von Maf zur europäischen Kultur, die vielen Literatur-Zitate und die « belesene » Dekadenz dieses Hundes verstehen und aufnehmen. Und dieser Roman ist nicht nur eine Teilbiographie von Marilyn Monroe als Einzelperson, es die Geschichte des intellektuellen Amerikas Anfang der 60ziger Jahre, die durch viele Persönlichkeiten aus Literatur, Film und Politik beeinflusst wurde.

« Leben und Ansichten von Maf dem Hund und seiner Freundin Marilyn Monroe » ist ein absolut unvergleiches, aussergewöhnliches und faszinierndes Porträt einer der brühmtesten Blondinen der Welt. Es eignet sich nicht nur für jeden Literaturliebhaber, der auch einen Faible für Marilyn Monroe hegt, Hunde als die besten Freunde des Menschen ansieht und offen ist für einen subtil intelligenten Witz und philosophischen Sarkasmus. Besonders aktuell anlässlich des 50. Todestages am 5. August 2012 von Marilyn Monroe ist dies ein ideales Buch für besonders kulturinteressierte Menschen, welche dieser Frau auf einer sehr klaren, aber äusserst liebenswerten und literarisch empathischen Weise nochmals oder vielleicht auch zum ersten Mal lesenderweise begegnen möchten.

Durchgelesen – „Die Filmerzählerin“ v. Hernàn Rivera Letelier

Kann man das Kino in eine Art Erzählstunde verwandeln ? Bleibt da nichts auf der Strecke, die Bilder, die Ausstattung, das Licht etc. ? Hernàn Rivera Letelier zeigt uns in seinem kleinen, aber sehr starken Roman «  Die Filmerzählerin », was es bedeutet einen Film im Kino sehen zu dürfen und welche Wirkung und Folgen es haben kann, diesen Film erzählenderweise mit Anderen zu teilen.

Hernàn Rivera Letelier wurde 1950 in Talca – Südchile – geboren und wuchs als Kind in der Atacama-Wüste im Norden des Landes auf. Er war begeistert von Literatur und Büchern und besuchte in seiner Jugend als einziger die Werksbibliothek der Minensiedlung. Aufgrund von Armut hatte er im Alter von 21 Jahren mit dem Schreiben begonnen und sofort mit einem Gedicht an einem Preisausschreiben des örtlichen Radioprogramms teilgenommen. Der Hauptpreis war nämlich ein Abendessen in einem feinen Restaurant. Er gewann diesen Wettbewerb mit einem vierseitigen Liebesgedicht und gehört heute zu den meistgelesenen spanischprachigen Schriftstellern !

Der Roman « Die Filmerzählerin » spielt in einer Minensiedlung in der chilenischen Atacama-Wüste. Maria Margarita, ein zehnjähriges Mädchen, ist die Hauptakteurin dieses sprachlich sehr eleganten Buches. Sie lebt mit ihrem Vater, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist und von seiner schönen Frau verlassen wurde, mit ihren vier Brüdern. Jeder der Familie, ausser dem Vater, hat seine Aufgaben. Die Männer arbeiten im Salpeterabbau und die Frauen sollen sich um den Haushalt kümmern. In diesem Fall versucht Maria diese Rolle zu übernehmen, aber nicht nur diese.

Das einzig Schöne, was diese Siedlung zu bieten hat, ist das Kino. Der Vater trifft immer die Filmauswahl. Doch da das Geld nur für eine Eintrittskarte reichte, wurden Maria und ihre Brüder jeweils einzeln in das Kino geschickt, um den Film anzusehen, nein man sollte treffender sagen, um ihn aufzusaugen. Denn anschliessend musste jeder diesen Film der Familie ganz genau erzählen. Den internen Familien-Wettbewerb hat Maria für sich entschieden und durfte ab diesem Zeitpunkt nun immer als Einzige in das Kino.

Maria spielte mit Herz und Seele, machte Stimmen nach, benutzte Requisiten und schminkte sich, um den Film so realitätsnah wie möglich wiederzugeben. Die Familie war begeistert, der Vater bestätigt, dass er das richtige Kind für diese Aufgabe ausgesucht hatte. Auch die anderen Bewohner der Siedlung beobachteten die Film-Erzählabende und wurden immer neugieriger. Der Vater lud nun auch Freunde ein und ein Gast meinte, man könnte daraus sogar ein Geschäft machen und Eintritt verlangen. Doch man einigte sich auf freiwillige Spenden und somit wurde Maria zur professionellen Filmerzählerin :

„Der « Saal » füllte sich mit Kindern und Erwachsenen, Männern und Frauen. Darunter welche, die sahen sich erst den Film im Kino an, kamen dann zu uns und liessen ihn sich erzählen. Und sagten, wenn sie gingen, der Film, den ich erzählt hätte, sei besser gewesen als der, den sie gesehen hatten. „

Ja und so verwandelte sich das Wohnzimmer in einen Kinosaal und Maria fand immer mehr Spass und Freude an ihrer besonderen Aufgabe und vor allem an ihrem außergewöhnlichem Talent. Es ging so gar soweit, dass sie nun auch von anderen Leuten engagiert wurde, vor allem dann wenn das örtliche Kino keinen Film bieten konnte.

Doch eines Tages wird Maria von einem komischen Mann, dem Geldverleiher der Siedlung, zum Filmerzählen « bestellt ». Normalerweise begleitete sie immer ihr Bruder, doch diesmal hatte sie ihn gehen lassen und die Lage entwickelte sich seltsam. Maria sollte sich auf den Schoss des Mannes setzen, um den Film besser erzählen zu können. Doch die Situation spitzt sich zu und es passieren ganz schreckliche Dinge…

« Die Filmerzählerin «  ist ein wunderbar poetisches Buch, mit einem Sinn für das ganz Besondere ! Letelier zeigt sehr vorsichtig, aber trotzdem mit einer emotionalen Wucht die Armut dieser Menschen und ihre daraus entstehenden Probleme. Es beginnt wie in einem Märchen mit einem zarten Zauber, der diese doch schwierigen Lebensbedingungen dank der faszinierenden Wortbilder eher positiv und humorvoll beschreibt. Der Leser ist begeistert von dieser bemerkenswert schönen Begabung des Filmerzählens, einer Kunst, die das Leben lebenswert macht, Freude bereitet und die Menschen auf magische Weise kurzfristig in eine andere und vor allem bessere Welt versetzt.

Letelier charakterisiert mit seinen prägnant klaren Sätzen eingebettet in 44 Kapiteln die einzelnen Lebensschicksale. Wir nehmen Teil an den erzählten « Kinoerlebnissen » und spüren auch die Tragik und die Enttäuschung, die das Leben nicht nur von Maria, sondern auch das ihrer Brüder bestimmen werden.

« Die Filmerzählerin » ist nicht nur ein ideales Buch für Cineasten, die diese Lektüre sicherlich besonders geniessen werden. Es ist aber auch ein Werk für jeden anspruchsvollen und neugierigen Leser, der beim Schmökern dieses Romans nicht nur Buchstaben, sondern bereits nach dem ersten Kapitel eine Filmszene vor Augen haben wird, denn Lesen ist wie Kino, nur im Kopf !