« Wir sind auf Erden, um das Glück zu suchen, nicht um es zu finden. »
Monat / Januar 2015

Durchgelesen – „Weinhebers Koffer“ v. Michel Bergmann
Die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk ist nicht immer ein leichtes Unterfangen, doch wenn plötzlich ein Objekt sich als das potentielle Präsent zu einer vollkommen unerwarteten Entdeckung entpuppt, wird die Neugierde nicht nur bei dem Protagonisten, sondern auch beim Leser geschürt. „Weinhebers Koffer“ ist nicht nur der Titel des neuen Romans von Michel Bergmann, sondern auch der Ursprung eines besonderen Geheimnisses.
Michel Bergmann, geboren 1945 als Kind internierter jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Paris und in Frankfurt am Main. Nach der Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau arbeitete Bergmann als freier Journalist, wechselte aber später in die Filmbranche und ist inzwischen als Regisseur, Filmproduzent und insbesondere als Drehbuchschreiber – unter anderem für die Serien „Polizeiruf 110“ und „Unter Verdacht“ – tätig. Sein erster Roman „Die Teilacher“ erschien 2010 und war so erfolgreich, dass er sogar 2013 verfilmt wurde. Nach verschiedenen Romanen und Erzählungen erscheint nun ganz aktuell sein neuer Roman „Weinhebers Koffer“!
Die Rahmengeschichte spielt in Berlin. Die Hauptfigur ist der Journalist und Filmemacher Elias Ehrenwerth, der wie bereits eingangs kurz erwähnt ein passendes Geschenk für seine Freundin Lisa Winter sucht. In einer Art Trödelgeschäft stöbert Ehrenwerth nach dem richtigen Präsent, entdeckt viel Unbrauchbares, Überflüssiges und Altes. Dabei wird er fündig: ein Lederkoffer mit unglaublich vielen Aufklebern, die subtil und diskret die grossen „Reiseerfahrungen“ dieses Gepäckstückes erzählten. Doch das Besondere an dem Koffer waren vor allem die imprägnierten Initialen L.W.! Ganz klar für Ehrenwerth, das würde perfekt zu Lisa Winter passen und somit kauft er dieses Fundstück.
Bei sich zu Hause öffnet Ehrenwerth den Koffer und findet zu seiner Überraschung eine alte Visitenkarte von einem besagten Dr. phil. Leonard Weinheber, wohnhaft Viktoria-Louise-Platz 14 in Berlin-Wilmersdorf. Ab diesem Zeitpunkt war die Entscheidung getroffen, der Koffer konnte erst als Geschenk eingesetzt werden, wenn Ehrenwerth herausgefunden hätte, wer dieser Leonard Weinheber wirklich war.
Elias Ehrenwerth macht sich auf den Weg an die auf der Visitenkarte angegebene Adresse und erfährt, dass es sich bei Weinheber um einen Schriftsteller handelt, der 1939 auf der Flucht vor den Nazis sein geliebtes Deutschland verlassen musste und es keinen anderen Ausweg mehr für ihn gab, als nach Israel zu fliehen. Ehrenwerth forscht intensiv nach, woher denn nun dieser Koffer als letztes kam und wird über mehrere Ecken einen ersten Anhaltspunkt in Israel finden. Er reist in das Land, das vielleicht der letzte Lebensmittelpunkt von Weinheber sein konnte bzw. auch sein sollte. In Israel trifft er auf den Grossvater (Araber) des Trödelhändlers in Berlin, der diesen Koffer seinem Enkel für seine Reise nach Deutschland mitgegeben hatte. Der alte Mann ist äusserst hilfsbereit. Er entdeckte den Koffer am Hafenkai von Jaffa, wo er früher gearbeitet hatte. Da der Koffer nie vom dortigen Fundbüro von seinem rechtmässigen Besitzer abgeholt wurde, durfte er diesen mit nach Hause nehmen. Der alte Mann passte gut auf den Inhalt auf, die Kleidung trug er ganz vorsichtig und die Dokumente, wie Briefe von Weinhebers grosser Liebe, aber auch ein Buchmanuskript wurden sorgfältig aufgehoben. Elias Ehrenwerth freute sich sehr, dass er nun diese interessanten Papiere gefunden hatte und dadurch hoffentlich dem mysteriösen Geheimnis um Weinhebers Koffer und der damit verknüpften dramatischen Lebensgeschichte endlich auf die Spur kam…
Der Roman hat zwar nur 140 Seiten, enthält aber so viele Geschichten, Erfahrungen, Eindrücke, Emotionen, als würde man vor einem dicken Schmöker sitzen, der einen von der ersten bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Michel Bergmann hat eine besondere Gabe, die sicherlich auch seinem Erfolg als Drehbuchschreiber zuzuordnen ist: er kann in verschiedenen Ebenen, Sprachstilen und äusserst pointierten Dialogen schreiben. Selten wird man ein Werk finden, das so unaufgeregt und fliessend zwischen einer journalistisch lockeren Feder und einer wahrlich elegant literarischen Erzählkunst wechselt. Dadurch wird die Rahmenhandlung in Berlin zu einem amüsant, provokativen Feuerwerk und die eingebettete und eher düstere Geschichte um Leonard Weinheber zu einer sehr emotionalen, aber historisch nicht unwichtigen Recherche, die das Thema Vertreibung aus der Heimat gepaart mit Trauer und Sehnsucht sehr gut darstellt.
„Weinhebers Koffer“ ist ein ganz besonderer Roman. Er beschäftigt sich so raffiniert und prägnant mit der traurigen Vergangenheit, die beim Leser durch diesen eigentlich so banalen Koffer eine so unersättliche Neugierde auslöst, dass wir an dem Text wirklich vom ersten Moment an wahrlich festkleben und unbedingt alles über Leonard Weinheber wissen wollen. Michel Bergmann gelingt es, ein schwieriges Thema der Geschichte spielerisch, aber trotzdem sehr ernsthaft wieder in Erinnerung zu bringen. Der Roman unterhält auf wunderbar intellektuelle Weise, amüsiert uns in mancherlei Hinsicht und lässt uns aber auch gleichzeitig nachdenklich und vor allem sehr nachhaltig berührt am Ende zurück.
Dieses Buch ist erhältlich in der Deutschen Buchhandlung Paris!
Gotthold Ephraim Lessing – Gedicht
Abschied an den Leser
Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
So sei mir wenigstens für das verbunden,
Was ich zurück behielt.
Kurt Tucholsky – Zitat
« Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger. »
Durchgelesen – „Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte“ v. Eric-Emmanuel Schmitt
Der Umgang mit der Wahrheit ist nicht immer ganz einfach. Bereits in jungen Jahren lernen wir oft ehrlich zu sein und die Wahrheit zu sagen. Doch ist das hilfreich im Leben, bringt uns diese Wahrheit wirklich weiter, oder wäre nicht manchmal ein wenig Unwahrheit besser? Emile M. Cioran bringt es in seinem Zitat auf den Punkt: „Wir haben nur die Wahl zwischen unerträglichen Wahrheiten und heilsamen Mogeleien.“ Ja und genau diese Wahl greift Eric-Emmanuel Schmitt in seiner neuen Erzählung „Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte“ sehr gekonnt auf!
Eric-Emmanuel Schmitt, geboren 1960 in Sainte-Foy-lès-Lyon (Rhône Alpes), ist als Romancier, Novellenschreiber, Dramaturg und Regisseur tätig. Er zählt zu den wichtigsten französischen Autoren. Seine Eltern waren Sportlehrer und erfolgreiche Sportler – der Vater Frankreichmeister im Boxen und die Mutter im Gehen. Seine Mutter nahm Eric-Emmanuel Schmitt in jungen Jahren ins Theater mit und er war von seinem ersten Stück „Cyrano de Bergerac“, das er dort sehen durfte, so begeistert, dass er fortan nur noch schreiben wollte und mit 16 Jahren entschied, Schriftsteller zu werden. Nach seinem Abschluss an der École normale supérieure studierte er von 1980 bis 1985 Philosophie und promovierte 1987 über „Diderot et la métaphysique“. Anfänglich schreibt er viele Theaterstücke, für die er unter anderem 1994 mit zwei „Molière“ (bestes Theaterstück und bester Theater-Autor) für „Le Visiteur“ ausgezeichnet wurde. Er erhält eine Vielzahl von Auszeichnungen in Frankreich – den Prix de la Sélyre, Prix Chronos und den Prix Goncourt pour la Novelle 2010 („Concerto à la mémoire d’un ange“). Aber auch international wird Eric-Emmanuel Schmitt sehr geehrt, wie beispielsweise der Deutsche Bücherpreis 2004 für seine Erzählung „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, welche mit Omar Sharif in der Hauptrolle verfilmt wurde. Dieses letztgenannte Werk gehört zu einer Reihe, dem „Cycle de l’Invisible“, wie auch „Der Sumo, der nicht dick werden konnte“ und die nun aktuell – dank der hervorragenden Übersetzung von Marlene Frucht – veröffentlichte Erzählung „Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte“.
Die Erzählung spielt in China. Der namenlose Ich-Erzähler – ein französischer Handelsvertreter – muss in regelmässigen Abständen wichtige Geschäftsverhandlungen mit einem chinesischen Spielzeughersteller vor Ort führen. Während der Verkaufsgespräche in einem Hotel versucht er sich immer ein wenig „Auszeit“ zu gönnen in dem er die Toiletten aufsucht und dabei Frau Ming kennenlernt. Sie ist die Toilettenfrau – in Frankreich auch „dame pipi“ genannt:
„Frau Ming war also für die Männertoilette im Grandhotel in Yunhai zuständig, eine Position, die, ihrem stolzen Auftreten nach zu urteilen, von ihrem Erfolg kündete. Hätte sie dagegen am Ende des Ganges die Frauentoilette sauber zu halten gehabt, so hätte das in dieser Nation, in der das männliche Geschlecht bevorzugt wurde, bedeutet, tief zu sinken; dort wäre sie Dienerin gewesen, hier aber war sie Herrscherin, weil die Männer in Scharen an ihr vorbeizogen, ihr zunickten, darauf warteten, dass sie ihnen gütig das Recht einräumte, sich zu erleichtern.“
Es dauert nicht lange und der Ich-Erzähler und Frau Ming freunden sich an. Sie hilft ihm, Flecken aus seiner Krawatte und seinem Hemd zu entfernen, und dabei erzählt Frau Ming von ihren zehn Kindern, was doch etwas ungewöhnlich war, vor allem im Hinblick auf die sogenannte Ein-Kind-Politik in China. Der französische Handelsvertreter ist überrascht und überzeugt, dass dies eine grosse Lüge sein muss. Doch als Frau Ming immer intensiver von ihren Kindern spricht und unglaubliche Details zum Vorschau kommen, wie zum Beispiel die unerschrockenen Zwillinge Kun und Kong, die beim Zirkus auftreten, oder Wang, der aufgrund seiner grossen Begeisterung für Gärten nun als Gartenarchitekt imaginären Gartenbau verkauft, wird auch der Ich-Erzähler unsicher. Gibt es nun die zehn Kinder oder ist alles ein Lügenmärchen?
Die Geschichte spitzt sich zu, als eines Tages Frau Ming nicht wie gewohnt an ihrem Arbeitsplatz erscheint und wegen eines Unfalls – sie wurde von einem Auto angefahren und verletzt – im Krankenhaus liegt. Der Ich-Erzähler versucht alles, sie zu finden und besucht sie am Krankenbett, wo er ganz überraschend auch auf ihre Tochter Ting Ting trifft. Doch Frau Ming ist deprimiert, da sie ihren Geburtstag im Krankenhaus verbringen muss und wünscht sich nur eins, alle zehn Kinder sollen sie an diesem Tag besuchen…
„Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte“ ist, wie bereits oben kurz erwähnt, ein Teil aus dem „Cycle de l’Invisible“, der sich mit anderen Kulturen und Weltreligionen literarisch beschäftigt. Hier wird uns so en passant die chinesische Kultur spielerisch und sehr charmant, dank der Unterstützung von Konfuzius näher gebracht. Es ist einfach sehr erstaunlich, aber auch die Kunst des Eric-Emmanuel Schmitt, wie viel wir doch in dieser Erzählung – auf gerade mal ungefähr hundert Seiten – über die chinesische Denkweise erfahren können. Schmitt schreibt spannend, einnehmend und raffiniert emotional. Sein Stil ist unglaublich flüssig, frei von behäbigen Pathos und dadurch besonders frisch und unverbraucht. Dass er dabei noch gekonnt die Weisheiten von Konfuzius integriert ist keineswegs überraschend, sondern Philosophie pur, die wir, als Leser, hier so leichtfüßig bei dieser Lektüre aufsaugen dürfen.
Und ganz besonders wichtig ist es, dass wir in dieser wundervollen Erzählung endlich erfahren werden: „Warum ertragen die Menschen die Wahrheit nicht“. Frau Ming erläutert es ganz klar und direkt ihrem „zehnten“ Kind, das durch die Wahrheitsliebe in seinem Leben nicht weiterkommt. Schmitt lässt Frau Ming mit so viel Liebe von ihren Kindern, welche ihr grosses, aber nicht unbedingt reales Glück bringen, sprechen, das nicht nur den französischen Handelsvertreter sondern auch uns Leser sehr berührt und ein wenig nachdenklich stimmt. Doch letztendlich ist diese kleine feine Erzählung, die vielleicht im ersten Moment auch ein wenig einfach erscheint, ein literarisch philosophisches Meisterwerk im Kleinformat.
„Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte“ ist eine so verführungsstarke Geschichte mit einer grandios verpackten Botschaft, in der die Wahrheit dank der gekonnt eingesetzten Lüge eine ganz andere Bedeutung bekommt und Sie, verehrter Leser, in einen unvorstellbar schönen und beglückenden Lebenstraum eintauchen, der hoffentlich nie enden möge!

Durchgeblättert – „Wo Frauen ihre Bücher schreiben“ v. Tania Schlie
Schreiben und Glück gehört irgendwie zusammen. Bereits Jean Paul konnte dies mit seinem wunderbaren Zitat – „Solange ein Mensch ein Buch schreibt, kann er nicht unglücklich sein“ – perfekt bestätigen. Doch wo schreiben eigentlich Menschen und insbesondere Frauen ihre Bücher? Eine nicht ganz unwichtige Frage, die sich dank der enthusiastischen Recherche und dem guten Gespür an biographischen Entdeckungen nun mit dem sehr interessanten und anspruchsvoll gestalteten Buch „Wo Frauen ihre Bücher schreiben“ sehr gut beantworten lässt.
Tania Schlie (geb. 1961 in Hamburg), Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin hat mit ihrem neuen Werk ein wahrlich wissenswertes Thema rund um das Schreibverhalten von Frauen sehr ansprechend und äusserst informativ aufbereitet. Es geht um den Ort des Schreibens, konkret nicht nur um ein Land, eine Stadt oder ein Dorf, nein es geht um den Arbeitsplatz oder besser gesagt um den Schreibort. Das kann ein – kombiniert mit unterschiedlichen Ritualen – immer festgelegter Platz sein, der verschiedenster räumlicher und psychologischer Begleitumstände bedarf, die das Schreiben nicht nur erleichtern und vereinfachen, sondern auch effizienter und erfolgreicher gestalten können.
Elke Heidenreich hat hier in ihrem sehr persönlichen Vorwort ihren Schreibort wunderbar erläutert und wir können erstaunt feststellen, dass sie über den besonderen Luxus verfügt, drei Schreibtische zu besitzen, die für die unterschiedlichsten Arten des Schreibens von ihr dementsprechend eingesetzt werden. Doch dieses Privileg hatten in früheren Zeiten leider nur sehr wenige Schriftstellerinnen; sie mussten zum Teil mit dem Küchen- bzw. Esstisch vorlieb nehmen, wie zum Beispiel Jane Austen oder Charlotte Brontë, die sogar mit ihren zwei Schwestern gemeinsam im Esszimmer ihre Bücher schrieb.
Aber auch das Café zählte zu einem der wichtigsten und beliebtesten Schreibplätze für viele Autorinnen. Während der Besatzungszeit beispielsweise war es der wesentlich besser geheizte Ort. Und für Simone de Beauvoir, die alle ihre Bücher in Cafés geschrieben hatte, nicht nur ein Arbeits- genauso eine Art Lebensort zum Essen und zum Freunde treffen. Auch Nathalie Sarraute ging jeden Tag für vier Stunden in ein libanesisches Café in Paris, um ihren Kindern und dem Anwaltsalltag ihres Mannes zu entfliehen. Dorothy Parker konnte über viele Jahre hinweg nur in möblierten Hotelzimmern arbeiten. Ja und nicht nur für François Sagan war die brennende Zigarette ein unabdingbares „Konzentrationsmittel“. Viele andere Schriftstellerinnen, wie beispielsweise Elizabeth Bowen, fühlten sich im Tabakduft irgendwie wohl und aufgehoben. Gertrude Stein dagegen brauchte noch etwas ganz anderes, das sie in ihrem Schreiben unterstützte und beflügelte, nämlich Kunst. Sie sammelte bereits früh die unterschiedlichsten Meisterwerke der Moderne und wurde durch die Kunst, die an ihren Wänden ihres Arbeitszimmers hing, nicht immer nur positiv inspiriert und musste sich deshalb sogar von so manchem Kunstwerk trennen, da es ihren Schreibprozess eher zu blockieren schien.
Einige Autorinnen konnten überall schreiben, reisten viel, benötigten ihre Schreibmaschine als klassisches Arbeitsmittel und der Arbeitsort war völlig gleichgültig, ob in der Wiese, auf der Terrasse oder in einem Raum an einem beliebigen Tisch. Es gibt aber auch Schriftstellerinnen, die ihren eigenen konkreten Ort zum Schreiben brauchten. Sei es ein separates Zimmer wie bei Virginia Woolf und Alice Walker, oder aber auch nur der einzig wahre Schreibtisch bzw. Schreibort, wie bei Nadine Gordimer oder Colette, die nur im Bett auf ihrem dafür eigens konzipierten Schreibpult produktiv sein konnte.
Viele oder man könnte fast schon sagen, die meisten dieser Autorinnen sind dem Schreiben so zugetan, dass es für sie das eigentliche, ja das wahre Leben bedeutete, aber es gibt auch Ausnahmen, bei denen das Schreiben, ein echter Brotberuf war und vor allem das Geld zählte. George Sand gehörte zu dieser Kategorie. Sie konnte sage und schreibe bis zu dreizehn Stunden am Tag arbeiten und versuchte sich dabei nachts mit Unmengen von Kaffee und Zigaretten wachzuhalten. Aber auch Agatha Christie, die mehr als 70 Bücher geschrieben hatte, arbeitete für eine neue Loggia an ihrem Haus. Es ging ihr um die pragmatischen Aspekte und keineswegs um die Verklärung des Schreibens.
Fast 40 schreibende Frauen und ihre Arbeitsplätze mit den dazu verbundenen Arbeitsgewohnheiten dürfen wir in diesem so fabelhaft konzipierten Buch – dank auch der faszinierenden Fotos von einigen dieser Schreiborte – erstmals kennenlernen. Tania Schlie hat nicht nur intensiv geforscht, sie hat auch sehr subtil und ganz vorsichtig die Türen zu den Schreibplätzen dieser aussergewöhnlichen Frauen geöffnet. Wir spüren die unterschiedlichen Plätze auf, fühlen uns sofort eingeladen in die verschiedenen „Arbeitszimmer“ dieser ausgewählten Schriftstellerinnen und erkunden die Einrichtung, drücken die Tasten der Schreibmaschine oder nehmen die Bleistifte bzw. Füllfederhalter zur Hand, riechen den Tabakrauch oder hören auch die Nebengeräusche in den Cafés. Kurzum der Leser wird Teil einer ganz besonderen Welt, der sogenannten weiblichen Schreibwelt. Ja und somit müssen wir uns nicht im Geringsten wundern, wenn wir, selbst als Leser, uns vielleicht auch nach einem genauso vergleichbaren „Ort“ des Schreibens bzw. Arbeitens sehnen!
„Wo Frauen ihre Bücher schreiben“ ist ein glanzvoll illustrierter Bild- und Textband, der nicht nur Schreiborte, sondern ganze und vor allem auch in gewisser Weise sehr persönliche und intime geistige Lebensräume von beeindruckenden Schriftstellerinnen präsentiert. Seien Sie gewiss, verehrter Leser, spätestens nach der Lektüre dieses Buches werden Sie Ihre Neugierde bezüglich der Frage nach dem „Wo“ Frauen schreiben stillen können, doch gleichzeitig werden die neuen Fragen nach dem „Was“ und „Wie“ sie schreiben nicht lange auf sich warten lassen und das literarische Verlangen, diese Schriftstellerinnen auch in ihrem Werk kennenzulernen, kaum mehr zu bändigen sein!