Hugo von Hofmannsthal – Gedicht

Weihnacht

Weihnachtsgeläute
Im nächtigen Wind…
Wer weiß wo heute
Die Glocken sind,
Die Töne von damals sind?

Die lebenden Töne
Verflogener Jahr`
Mit kindischer Schöne
Und duftendem Haar,
Mit tannenduftigem Haar,

Mit Lippen und Locken
Von Träumen schwer?…
Und wo kommen die Glocken
Von heute her,
Die wandernden heute her?

Die kommenden Tage,
Die wehn da vorbei. –
Wer hört´s ob Klage,
Ob lachender Mai,
Ob blühender, glühender Mai?

Durchgeblättert – „book shops“ v. Markus S. Braun

« Buchhandlungssterben » – ein Schlagwort, das man in der letzten Zeit immer wieder hört bzw. liest. Nicht nur die unabhängigen Buchhandlungen werden weniger auch die Ketten schliessen einige ihrer Filialen, denn der Internetbuchhandel nimmt dem örtlichen Buchhandel die Umsätze und somit die Kunden weg. Dies erweckt den Eindruck, dass der Buchkäufer immer phlegmatischer wird und lieber seinen gewünschten Titel per Taste bestellt, als dass er sich direkt in eine Buchhandlung begibt, vor Ort schmökert und sich von Buchhändlern beraten lässt. Doch deshalb ist es um so erfreulicher, dass ein äusserst innovativer Verleger, sich an ein Buchprojekt wagt, und damit auch dem Buchkäufer per Klick ein Werk vorstellt, das nur von « book shops », also örtlichen, reellen und keinesfalls virtuellen Buchgeschäften handelt.

Markus S. Braun ist 1966 in Berlin geboren und hat Germanistik und Betriebswirtschaft studiert. Von 1993 bis 1995 war er Herausgeber des populärwissenschaftlichen Magazins Copernicus. Im Jahr 2000 hat er das Verlagshaus Braun gegründet und seit 2009 ist er Verleger von Braun Publishing. Der Verlag ist spezialisiert auf Architektur und deshalb war es sicherlich nur eine Frage der Zeit, wann sich Markus S. Braun den schönsten, innovativsten, interessantesten, etabliertesten und neuesten Buchhandlungen der Welt widmen würde.

« book shops » ist ein prächtiges « Bilderbuch » nicht nur für Innenarchitekten oder Ladenbauer, nein es ist ein wichtiges Werk und eignet sich für jeden Buchliebhaber und Buchkäufer, der mehr erwartet und braucht, als nur eine sterile Online-Buchbestellung. Es zeigt die unterschiedlichsten Buchhandlungen, sowohl allgemeines Sortiment, aber auch Spezialläden. Es gibt kleine Bookshops, wie beispielsweise eine Design- und Architekturbuchhandlung mit gerade mal 33 qm in New York und es gibt auch megagrosse Geschäfte wie der « Academic Bookstore » in Helsinki mit 5000 qm. Wir entdecken aber auch zum Beispiel die älteste Buchhandlung Deutschlands « Korn & Berg », die 1531 in Nürnberg eröffnet wurde und noch heute im renovierten Glanz erstrahlt. Wir schmökern im traumhaft gestalteten « Papasotiriou Bookstore » in Athen, wo Moderne und Klassik in der Innenarchitektur grandios vereint werden. Natürlich dürfen vollkommen futuristisch gestaltete Buchhäuser wie zum Beispiel « Prologue » in Singapore nicht fehlen. Aber auch die Traditionshäuser wie « El Ateneo Grand Splendid », das als Theater 1903 im Buenos Aires gebaut wurde, und « Munro’s Books » in Victoria (Kanada), welches sich in einem neo-klassizistischen Gebäude von Thomas Hooper aus dem Jahre 1909 befindet.

Insgesamt besuchen Sie, verehrter Leser, hier 49 Buchhandlungen quer über die Welt verteilt und werden sich spätestens nach den ersten drei Läden wundern, warum der Online-Buchhandel so boomt. Es ist nach dieser « atemberaubenden » Lektüre nicht im Geringsten nachvollziebar. Dieser fantastische Bild- und Architekturband öffnet ein paar vertraute, aber eben auch sehr viele neue Welten in Punkto Buchhandlungen. Man spürt bei jedem « Besuch » das Engagement, die Ideen und die Herausforderungen, die sich dahinter verbirgen. Hier sehen wir nicht nur das präsentierte Buch, sondern es geht um Raumkonzepte, Design und Einrichtung. Die Leser und vor allem die Buchkäufer dürfen sich hier wohlfühlen. Die Buchhandlungen sollen verführen, zum Verweilen einladen, die Neugierde beflügeln und natürlich auch den Verkaufsimplus verstärken. Der Leser wird hier nicht nur mit äusserst hochwertigem Bildmaterial überzeugt, sondern auch mit sehr kompetenten Informationen zu jeder Buchhandlung. Nicht nur die architektonischen Eckdaten, wie Grösse, Materialen etc., sondern auch prägnante historische und sortimentsspezifische Anmerkungen ergänzen das jeweilige Buchhandlungsporträt.

All diese hier vorgestellten Buchhandlungen sind mehr als einen echten Besuch wert, damit sie nicht nur lange erhalten bleiben, sondern auch um weiterhin nachhaltig zu inspirieren bezüglich neuer Buchhandlungskonzepte. Der Bucheinkauf auf Knopfdruck mag vielleicht im ersten Ansatz in seiner Form bequem erscheinen, doch letztendlich ist er langweilig, und eher in Punkto Einkaufsatmosphäre kalt und emotionslos. Erheben Sie sich, verehrter Leser, von Ihrem Bürostuhl, aus Ihrem Sessel und gehen Sie in die nächste Buchhandlung! Vielleicht entdecken Sie per Zufall dabei einen dieser Bookshops aus diesem mehr als beachtenswerten Buch. Dank Markus S. Braun und seinen « book shops » werden die Buchhandlungen zu einem echten Einkaufserlebnis wiederentdeckt und gleichzeitig wird deutlich, dass der örtliche Buchhandel noch lange nicht tot ist. Ganz im Gegenteil, er lebt und begeistert nicht nur durch Kompetenz, Anspruch und Orginalität, sondern auch durch neue Impulse, grenzenlose Kreativität und buchhändlerische Durchsetzungskraft!

Durchgelesen – „Bücherwahn“ v. Gustave Flaubert

Gustave Flaubert, geboren am 12. Dezember 1821 in Rouen und gestorben am 8. Mai 1880 in Croisset, gehört zu den wichtigsten französischen Schrifstellern und Romanciers der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die literarischen Hauptmerkmale des flaubertschen Œuvre liegen in der ausgeprägten Tiefe seiner psychologischen Analysen im Bezug auf das Verhalten der einzelnen Menschen, aber auch der gesamten Gesellschaft. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen die Romane « Madame Bovary » (1857), « Salammbô » (1862) und « L’Éducation sentimentale » (1869). Gustave Flaubert stammte aus einer bourgeoisen Familie, er war der jüngere Sohn des Chefarztes des städtischen Krankenhauses von Rouen. Auch wenn er ein begabter Schüler war, verbrachte er seine Freizeit lieber mit Lesen statt mit Lernen. Die Kindheit war eher etwas düster, vor allem im Hinblick auf das triste Krankenhaus-Appartement seines Vaters. Ein gewisser Hang zum Romantischen und ein Schreibkurs in der Schule, obwohl der Unterricht ihn wenig beigeisterte, öffneten ihm eine neue Welt. Und so entstanden noch während seiner Gymnasialzeit zwei erste und einzige literarische Publikationen (« Bibliomanie » und « Une leçon d’histoire naturelle: genre Commis ») bevor zwanzig Jahre später « Madame Bovary » als sein Debütroman, der oft auch als Jahrhundertroman bezeichnet wird, erschienen war.

Im November 1836 schrieb Gustave Flaubert die Erzählung mit dem Titel « Bibliomanie » (« Bücherwahn »), welche drei Monate später im Februar 1837 im « Le Colibri » (einer « Zeitung für Literatur, Theater, Kunst und Mode ») in Rouen abgedruckt wurde. Diese erste Veröffentlichung des gerade mal 15-jährigen Gustave Flaubert dürfen wir nun in einer neuen Übersetzung dank Elisabeth Edl und ergänzt mit wundervollen Zeichnungen von Wolf Erlbruch entdecken.

Die Geschichte spielt in Spanien, genauer in Barcelona. Bei dem Hauptprotagonisten handelt es sich um den dreissigjährigen Buchhändler Giacomo. Er sah im ersten Moment eher wie ein Bettler aus, da er sehr « schäbig » gekleidet war und sein Gesicht immer irgendwie fahl und unansehlich wirkte. Er verbrachte die meisten Tage allein nur unter seinen Büchern und begab sich selten auf die Strasse. Doch er war zufrieden, ja er war glücklich wenn er durch seine Bibliothek streifte ; und er war jedesmal vollkommen elektrisiert, wenn er wieder ein Buch berührte. Er lebte inmitten dieser literarischen Wissenschaft, doch letztendlich war diese nicht das Wichtgste für ihn :

«Nein! nicht die Wissenschaft liebte er, sondern ihre Form und ihren Ausdruck. Er liebte ein Buch, weil es ein Buch war; er liebte seinen Geruch, seine Form, seinen Titel.»

Aber nicht nur das, er war auch beeindruckt von den unterschiedlichsten Handschriften. All diese Faszination für das Buch raubte ihm wahrlich den Schlaf, er träumte sogar schon von Büchern. Es ging sogar soweit, dass er sein Mönchsleben aufgegeben hatte, um all sein Vermögen in Bücher zu investieren. Doch damit nicht genug, er opferte für sie nicht nur sein ganzes Geld und seine Seele, sondern fast sein Leben…

Dieser Erzählung liegt ein historischer Kriminalfall zugrunde, bei dem man sich nicht sicher ist, ob der Bericht in einem bekannten Gerichtsblatt über einen mörderischen Bibliomanen damals nicht vielleicht doch nur ein Scherz gewesen war. Auf jeden Fall liess sich dadurch Gustave Flaubert trotzdem zu diesem kleinen magischen Werk anregen.

Gustave Flaubert zeigte bereits hier in seinem Jugendwerk, sein ausgeprägtes Interesse für das minituöse, ja wahrlich fast schon kriminalistisch scharfe Beobachten von Menschen. Man erkennt sofort die grandiose literarische Umsetzung in der Beschreibung der Charaktere und der gesellschaftlichen Interaktionen, die sowohl durch den Hauptdarsteller initiert werden, als auch unabhängig von ihm in seiner Umgebung stattfinden. In gerade mal knappen dreissig Seiten wird der Leser Zeuge, was der « Bücherwahn » sehr wohl für negative Konsequenzen haben kann und was so manchen Buchliebhaber nachdenklich stimmen dürfte.

Doch Gustave Flaubert hilft uns gerade mit dieser brillanten Erzählung und seinem – damals bereits deutlich erkennbar – einzigartigen Schreibstil, die Liebe zur Literatur und zu Büchern – auch auf die Gefahr hin der Bibliomanie zu verfallen – weder zu verlieren noch sie zu missbrauchen. Ganz im Gegenteil, durch diese unglaublich spannende und intensive Erzählung, bekommen wir erst so richtig gesunde und keinesfalls krankhafte Lust in die Bücher – und Bibliomanenwelt tiefer einzutauchen und verspüren gleichzeitig eine ungebremste Neugierde, endlich Flauberts Werk erneut oder vielleicht auch zum ersten Mal so richtig intensiv zu lesen…

Rainer Maria Rilke – Gedicht

Der Tod des Dichters

Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war
bleich und verweigernd in den steilen Kissen,
seitdem die Welt und dieses von-ihr-Wissen,
von seinen Sinnen abgerissen,
zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.

Die, so ihn leben sahen, wußten nicht,
wie sehr er Eines war mit allem diesen;
denn Dieses: diese Tiefen, diese Wiesen
und diese Wasser waren sein Gesicht.

O sein Gesicht war diese ganze Weite,
die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;
und seine Maske, die nun bang verstirbt,
ist zart und offen wie die Innenseite
von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.