Durchgeblättert – „Büchermöbel“ v. Alex Johnson

« Wohnst Du noch oder lebst Du schon ?» ist einer der bekanntesten Slogans von IKEA. Noch bekannter ist ein unverwüstliches und zeitloses Bücherregal namens « Billy », das viele Bücherliebhaber ihr Eigen nennen dürfen. Doch inzwischen bekommt das klassische Bücherregal, egal ob « Billy » oder ein anderes vergleichbares Produkt grosse Konkurrenz. Trotz E-Book, Kindle oder iPad, hat das gedruckte Buch nicht im Geringsten seinen sinnlichen Reiz verloren. Und genau deshalb beschäftigen sich auch heute immer mehr Designer mit dem Thema Bücherregal. Sie suchen nach neuen Lösungen, die nicht nur originell, verrückt, praktisch und platzsparend sein können, sondern vor allem ein grundsätzliches Hauptziel verfolgen, Bücher gekonnt in Szene zu setzen.

Und es gibt tatsächlich eine Vielzahl von « Büchermöbeln », die genau diese Anforderungen mehr als erfüllen. Alex Johnson ist durch seinen Blog – theblogonthebookshelf – dieser spannenden Suche nach attraktiven Lösungen für das Wohnen mit Büchern nachgegangen. Das Ergebnis liegt nun in diesem wirklich äusserst informativen und qualitativ hochwertig gestalteten Bildband vor unseren Augen.

Alex Johnson arbeitet als professionneller Blogger und Journalist. Er schreibt unter anderem auch Beiträge für die Website des Independent. Desweiteren engagiert er sich für verschiedene gemeinnützige Institutionen als Textberater und betreibt eine ungewöhnliche Plattform im Web im Bezug auf « Gartenarbeitsplätze » für Freiberufler (www.shedworking.co.uk.). Er lebt mit seiner Familie und einer grossen Bücherregalsammlung in St. Albans.

« Büchermöbel » ist ein Kompendium für « über 300 Ideen für das Leben mit Büchern ». Es ist sehr übersichtlich in zwei grosse Kapitel eingeteilt, die durch eine sehr verführerisch und informativ angelegte Einführung mit dem Titel « Lob auf das Bücherregal » vorbereitet werden.

Kapitel 1 bietet eine grandiose Auswahl sogenannter « Gesammelter Werke ». Hier werden Bücherregale, Bücherschränke und ähnliches vorgestellt, immer mit dem Hintergrund, dass es sich hier nicht um « klassische » Bücherregale handeln soll. Man entdeckt stylisch kreative Regale mit « menschlichen » Beinen, schwebende Objekte, mit Kunstdrucken versteckte Regale, moderne « Vintage » – Möbel, Gestelle mit rechteckigen Buchhaltern, etc. Die Materialien reichen von Holz, über Wellpappe, zu Stahl und Kunststoff. Also alles was ein Bücherherz begehren könnte.

Kapitel 2 bietet noch mehr Design, als bereits das erste Kapitel nur ganz « dezent » zu vermitteln versucht. Sechs kleine Unterkapiteln mit den Titeln wie zum Beispiel « Regalborde » und « Büchermöbel » lassen im ersten Eindruck nichts Spektakuläres erahnen, doch bereits auf der ersten Seite des Kapitels „Regalborde“ werden wir bereits mit einem « wolkenhaften » Bücherbord namens « Cumulus » überrascht. Natürlich stossen wir auch auf ein paar bekannte Büchermöbel wie zum Beispiel das Design-Objekt « Bibliochaise », das sage und schreibe 5 Meter Regalfläche für Bücher bietet und gleichzeitig noch ein konfortables Sitzmöbel verkörpert. Doch die Auswahl aktueller und noch unbekannter Büchermöbel, die mehr als nur Buchaufbewahrungsorte zu sein scheinen, sondern als Kunstwerk ihrem Namen alle Ehre machen, ist bei mehr als 300 Ideen keinesfalls zu überbieten.

Doch das Beste dieses « Büchermöbel » – Nachschlagewerks ist die kompetente und äusserst informative Beschreibung des einzelnen Möbels. Dazu ergänzen die genauen Maße und die Hersteller-Websites die Präsentation dieser Traumobjekte einfach perfekt und der Klick zu einer schnellen Bestellung ist somit nicht mehr weit entfernt.

Langeweile war gestern, praktisches Design zählt heute, auch bei so alt gedienten und klassischen Möbeln wie Bücherregalen. Wagen Sie etwas Neues, schenken Sie Ihren Büchern ein ganz besonderes « Zuhause » ! In diesem wunderbaren, traumhaften, – ach man könnte wahrlich ins Schwärmen geraten – unvergleichbaren Bildband findet jeder Bücherfreund und Bibliomane, der nicht nur den intellektuellen Wert seiner Bücher schätzt, eine Fülle von innovativen Design-Ideen und die perfekte Lösung für ein besonders aufregend schönes Wohnen mit Büchern.

Durchgelesen – „Die Ballade der Lila K“ v. Blandine Le Callet

Geht ist es Ihnen auch so, dass Sie bei diesem Titel und vor allem bei dem Wort Ballade sofort an ein beschwingtes Tanzlied denken ? In der französischen Poesie gehören Balladen auch seit dem 14. Jahrhundert zur Hauptgattung der Liebesdichtungen. Was gäbe es Schöneres als einen « tanzenden » Liebes-Roman zu entdecken. Doch spätestens, wenn man die ersten Zeilen des Prologs liest und plötzlich Wörter wie Angst, Schreie und Zwangsjacke vor seinen Augen passieren lässt, ist man vollkommen verunsichert. Und genau diese Irritation fordert nicht nur eine Aufklärung, sondern auch eine starke Leser-Empathie, um sich auf diese unglaubliche Geschichte vollkommen und vorallem emotional einzulassen zu können.

Blandine Le Callet, geboren 1969, arbeitet als Dozentin für Latein und Philosophie an der Pariser Sorbonne. 2006 hat sie ihren ersten Roman « Une pièce montée » veröffentlicht, der nicht nur ein sehr grosser Leser-Erfolg war, sondern auch wunderbar verfilmt wurde. 2010 erschien ihr zweites Buch « La Ballade de Lila K », der mit vielen Preisen, unter anderem 2011 mit dem « Prix des bibliothèques pour tous » und dem « Prix Sony du livre numérique », ausgezeichnet wurde. Jetzt haben wir endlich die Gelegenheit, diesen sehr bewegenden und fesselnden Roman – dank Patricia Klobusiczky – in deutscher Übersetzung zu entdecken.

Die erzählerische « Ballade », oder vielleicht sollte man eher von einem balladenhaften Brief sprechen, spielt im 22. Jahrhundert in einer Stadt, die Paris sehr ähnlich sein könnte, aber nie konkret genannt wird. Lila, die Ich-Erzählerin, beginnt mit ihrer sehr dramatischen Lebensgeschichte, als sie 5 Jahre alt ist. Lila muss mit ansehen, wie schwarz gekleidete Männer die Wohnung stürmen, ihre Mutter überwältigen und von ihr wegbringen. Sie wird in einem sogenannten Zentralheim, das eine Mischung aus Pensionat und Gefängnis ist, untergebracht. Lila ist in einer äusserst schlimmen Verfassung : unterernährt, misshandelt, verstört. Sie lässt sich auf keinen Fall anfassen, wird deshalb mit Psychopharmaka sediert und künstlich ernährt. Überall hängen Überwachungskameras und sie ist unter ständiger Beobachtung.

Doch letztendlich kümmert man sich im Zentralheim ganz gut um Lila. Sie wird aufgepäppelt, massiert, lernt sprechen und gehen. Doch das grösste Problem ist die Sozialisierung mit anderen Kindern. Lila soll in den Schulunterreicht aufgenommen werden, doch aufgrund dieser Schwierigkeiten, bekommt sie Privatstunden. Sie ist hochbegabt, lernt in einem Monat Lesen und beeindruckt das Lehrerpersonal mit ihren Leistungen. Und genau zu diesem Zeitpunkt wird ein neuer Leiter für das Zentralheim benannt : Monsieur Kauffmann. Er ist anders als die Mitglieder der « Überwachungs-Kommission ». Er kümmert sich um Lila persönlich, führt sie mit seinem Cellospiel ein wenig an die Musik heran und hilft ihr durch das Auswendiglernen von Gedichten, ihren Wortschatz zu erweitern. Doch Kauffmanns Methoden stossen bei der Kommission nicht immer auf Zustimmung, deshalb ist auch er unter starker Beobachtung.

Lila vertraut sich Monsieur Kauffmann immer mehr an und wagt es, zum ersten Mal eine Frage bezüglich ihrer Mutter zu stellen. Sie vermisst sie so sehr und sie möchte unbedingt wissen, was sie macht und wo sie ist :

„« Sie wissen gar nichts ? » Er schüttelte traurig den Kopf. « Ein paar Wochen nach deiner Ankunft wurden wir darüber informiert, dass man deiner Mutter soeben die Elternrechte entzogen hatte. Mehr wissen wir nicht. » « Die Elternrechte entzogen ? Was heisst das ? » Monsieur Kauffmann schloss kurz die Augen. « Das heisst, dass zwischen euch keine rechtliche Bindung mehr besteht. Offiziell gilt sie nicht mehr als deine Mutter. »“

Lila war vollkommen durcheinander und konnte ihr Unglück gar nicht fassen, auch wenn dieser Prozess mehr oder minder rechtmässig von statten ging. Sie spürte eine unermessliche Einsamkeit und versuchte trotzdem ihre Kurse zu besuchen und die restlichen Tagespläne zu absolvieren. Erst als Monsieur Kauffmann sie mit einem Rollcontainer voller Bücher überraschte, änderte sich einiges in Lilas Leben. Man muss ergänzen, dass man in dieser Zeit nur mit seinem Grammabook gelesen hat, eine Art iPad, wo Texte erscheinen, aber auch wieder verschwinden können. Monsieur Kauffmann erklärte Lila, was ein Buch eigentlich ist und dass die mit Text bedruckten Seiten nicht veränderbar, aber auch nicht löschbar sind :

„«… Die Buchstaben sind unverrückbar. Unzerstörbar. Gerade dadurch zeichnet sich ein Buch aus, so gehört dir der Text. Er gehört dir voll und ganz. Er bleibt dir erhalten, ohne dass ihn jemand ohne dein Wissen manipulieren kann. In diesen Zeiten ist das ein besonderer Vorzug, glaub mir », fügte er leise hinzu. « Ex libris veritas, Mädchen. Aus den Büchern kommt die Wahrheit. Merk dir das : Ex libris veritas. »“

Lila wurde neugierig, stürzte sich in die Lektüre und liess sich auch keineswegs von den Warnhinwiesen des Ministeriums bezüglich Giftstoffe im Papier etc. abschrecken. Ab diesem Zeitpunkt gehörten Bücher zu ihrem Leben dazu. Sie gaben ihr Sicherheit und Macht. Doch Monsieur Kauffmann wurde durch das Ministerium immer mehr kontrolliert, so dass es langsam schwierig für ihn wurde, seine Position zu sichern. Jetzt sollte sich Monsieur Kauffmann nicht mehr allein um die Erziehung bzw. das « Protokoll » von Lila kümmern und so tritt ein junger Mann, namens Fernand, in ihr Leben ein. Monsieur Kauffmann überraschte sie noch mit einem Präsent : ein altes Wörterbuch. Fernand wurde jedoch über kurz oder lang ihr Betreuer, nachdem Monsieur Kauffmann seines Amtes enthoben und festgenommen wurde. Sie musste alle Bücher wieder zurückgeben und kämpfte um das Behalten ihres Wörterbuchs, das Lila bezüglich ihrer Herkunft noch sehr hilfreich sein wird.

Jahre vergehen und Lila muss sich immer mehr dem Sozialisierungsprozess unterwerfen. Sie leidet, beisst sich durch, kämpft gegen ihre Berührungsängste und ihren Ekel, « normales » Essen genussvoll zu sich zu nehmen. Sie lernt fleissig, wird von Fernand unterstützt und besteht im Juni 2107 ihre Abschlussprüfung. Sie könnte studieren, möchte aber gerne arbeiten und am Liebsten mit Büchern :

„« Die Kommission hat sich bereit erklärt, dir eine der Stellen aus dem Kontingent der Grossen Bibliothek zuzuteilen. Man bietet dir einen Posten als Datenerfasserin an, für die Digitalisierung von Papierdokumenten. Eine einsame Tätigkeit. Anspruchslos. Erfordert nicht die geringste Initiative. Hoffentlich bist du jetzt zufrieden. »“

Ja, das war sie. Lila hatte genau die Stelle bekommen, die für sie am Besten geeignet war. Doch sie wusste ja bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich durch diesen Posten konkrete Fortschritte, aber auch sehr dramatische Entwicklungen bezüglich der Suche nach ihrer Mutter abzeichnen würden…

« Die Ballade der Lila K » ist eine Mischung aus George Orwell, Ray Bradbury und Franz Kafka. Überwachungsstaat, Gefangenschaft, Zoneneinteilung und dies kombiniert mit Abhängigkeit und Liebe ergeben einen emotional explosiven literarischen Cocktail. Der Leser spürt ab dem Prolog die extrem starke Mutter-Tochterbeziehung trotz der erschütternden Lebensbedingungen in denen Lila aufwächst. Die Geschichte wirkt im ersten Moment so unrealistisch, dass sie fast schon wieder mehr als real sein könnte. Der Leser begegnet in diesem Buch einer jungen Frau während 360 Seiten, die endlich ihre « Lebensakte » studieren kann und in Form einer Art Liebes-Brief-Ballade diese zu Papier bringt.

Wie wunderbar gelingt es Blandine Le Callet durch Ihre klare, schlichte und pathosfreie, aber doch ausgesprochen elegante Sprache den Leser so zu vereinahmen, als wäre er Teil dieses Romans. Ganz besonders raffiniert ist die konkrete « Sie – Anrede », so dass wir uns auch als Leser irgendwie sehr persönlich angesprochen fühlen könnten, auch wenn wir eigentlich gar nicht direkt gemeint sind. Doch dadurch bekommt dieses Drama eine sehr intime und private Atmosphäre, als würden wir Lila gegenübersitzen und in einem stillen einsamen Kämmerlein ihrer Erzählung lauschen. Diese Geschichte fesselt in einer unvergleichbar starken Weise, dass man förmlich bei der Lektüre dieses Romans die Stille und das Alleinsein nicht nur sucht, sondern sogar benötigt, um sich Lila und ihrem Schicksal vollkommen « hingeben » zu können.

« Die Ballade der Lila K » zeigt nicht nur ein sehr persönliches Lebensdrama auf, sondern auch den Verlust an Freiheit durch Überreglementierung und totaler technisierter Kontrolle. Auch wenn man sich immer mal wieder – wie bereits erwähnt – an Orwell’s « 1984 » erinnert fühlt, ist dieses Buch kein klassischer Science Fiction Roman. Es ist eine dramatische, sehr emotionale und für die Protagonistin überlebensnotwendige « Liebes- und Befreiungsballade », die ein sehr wichtiges und sehr naheliegendes und, nicht wie man glauben möchte, utopisches Ziel verfolgt, nämlich die Fähigkeit der selbstlosen Vergebung. Umso beeindruckender ist es, zu beobachten wie Blandine Le Callet diese hochkomplizierte emotionale Hürde durch ihren – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubenden Roman überwinden kann !

Blandine Le Callet überzeugt mit ihrem unverschnörkelten Stil, lässt dem Leser Raum, sich alles selbst noch viel detaillierter auszumalen und schenkt gleichzeitig Vertrauen trotz des Horrorschicksals durch ihre beeindruckende Heldin Lila. « Die Ballade der Lila K » ist ein grandioses Werk, das schockt, den Leser nach Luft schnappen lässt und gleichzeitig eine unvergessliche und nachwirkende Anziehungskraft auslöst.

Durchgelesen – „Letzter Akt“ v. Christoph Leuchter

Ein Toter, ein Kommissar, ein kleines Dorf in der Toskana, ein deutscher Professor, ein Pfarrer als Mechaniker und viele offene Fragen in Punkto Verrat und Schuld. All diese Figuren und Themen werden hier meisterhaft von Christoph Leuchter in seinem Erstlingsroman « Letzter Akt » ineinander ver- und gleichzeitig wieder entwoben.

Christoph Leuchter (geb. 1968) hat vor seinem Studium der Germanistik in Bonn und Aachen, auch Klavier und Musikwissenschaft studiert. Seine Magisterarbeit widmete er Max Frisch und 2001 promovierte er über mittelalterlichen Minnesang. Er arbeitete bereits als wissenschaftlicher Assistent am Germanistischen Institut der RWTH Aachen, war als Lektor tätig und lehrt nun seit 2006 Angewandte Text- und Literaturwissenschaft und Kreatives Schreiben an der RWTH Aachen University. Sein nun gerade aktuell veröffentlichter erster Roman « Letzter Akt » wurde durch verschiedene Stipendien unter anderem durch das Literarische Colloquium Berlin unterstützt. Christoph Leuchter lebt als Musiker und Autor mit seiner Familie in der Nähe von Aachen.

Christoph Leuchters Roman spielt in der Toskana, in einem kleinen unbekannten Dorf in der Nähe von Florenz :

« Das Dorf, um das es hier geht, könnte zwanzig bis dreissig Kilometer von Florenz entfernt liegen. In dieser Gegend sind die Hinweisschilder am Strassenrand meist ungenau, und der Name des winzigen Ortes steht ohnehin nirgends. Als hätte man ihn einfach vergessen oder gutwillig von der Landkarte gestrichen. »

Dieser wahrlich vergessene kleine Ort wirkt irgendwie ausgestorben, die Jungen sind weggezogen, nur die Alten sind geblieben. Man könnte dieses Dorf auch als eine Art natürlich gewachsenes « Altersheim » bezeichnen, das von Maddalena, dem schülerlosen Lehrer, dem schwerkranken Apotheker Barelli und seiner glücklicherweise noch sehr attraktiven Frau, dem Pater Guiseppe, der wahrscheinlich in seinem « ersten » Leben Automechaniker war, und dem Tischler und Künstler des Dorfes, Paolo Veronese, bewohnt wird. Ach und dann gibt es noch einen ganz besonderen Langzeitgast, den man keinesfalls vergessen sollte: den deutschen Professor Martin Vonderheid, genannt Di Landa. Inzwischen sechundsiebzig Jahre alt und verheiratet mit Maria, einer dreissig Jahre jüngeren Französin, lebt er nun seit fast zehn Jahren in diesem Dorf. Zuvor unterrichtete Di Landa mittelalterliche Literatur in Paris und gibt jetzt in seinem Ruhestand ab und zu noch Literaturvorlesungen an der Universität von Florenz.

Di Landa und seine schöne Marie wohnen in einem Haus, das am Rande einer riesigen Wiese liegt, auf der sich ein alter Schuppen befindet. Wie oft unternimmt der Professor hier einen Spaziergang, wie auch dieses Mal. Seine Neugierde führt ihn in den Schuppen und dann erblickt er mit Entsetzen einen Toten, der unter der Decke hängt. Irgendwie musste er durch den Schock ohnmächtig geworden sein. Jetzt spürt er nur noch seine Platzwunde und versucht langsam seine Sinne wieder zu sortieren, denn in der Zwischenzeit ist ein junger Kommissar aus Florenz, namens Corelli, im Dorf eingetroffen, der viele Fragen stellt.

Keiner wusste bis jetzt, wer der Tote war. Doch Professor Di Landa erinnert sich wieder : es war sein Freund, ein gewisser Wolf Rosenstein. Corelli ist fasziniert und gleichzeitig abgelenkt von Marie, doch trotzdem beschäftigen ihn zwei Fragen : Warum hängt sich ein ehemaliger Freund des Professors genau in diesem Schuppen auf. Könnte es auch Mord gewesen sein, auch wenn alles auf einen Selbstmord hindeutet?

Es war tatsächlich Suizid ! Corelli – gerade selbst in einer privaten Krise – überbringt die gerichtsmedizinischen Ergebnisse persönlich, obwohl dies nicht im Geringsten von Nöten gewesen wäre. Irgendwie fühlt er sich magisch von diesem Ort, aber auch von Di Landa und dessen attraktiver Frau angezogen. Wegen einer Autopanne quartiert sich Corelli bei Di Landa ein. Die zwei Männer kommen sich – begleitet von gutem Rotwein – bei einem Gespräch näher. Und damit endet der kurze kriminalistische Exkurs und die eigentliche von Professor Di Landa erzählte Geschichte, welche in Berlin der Zwanziger Jahre beginnt, nimmt seinen Lauf :

« „Eines Morgens schob unser Lehrer einen blonden Jungen vor sich her ins Klassenzimmer, postierte ihn vor dem Lehrerpult und erklärte der Klasse : Das sei ihr neuer Mitschüler, Wolf Rosenstein.“ … „Der Neue musste sich zu mir in die Bank setzen, ich wusste es genau, und ich beschloss, dass wir Freunde würden.“ »

Martin Vonderheid und Wolf Rosenstein wurden Freunde, Martin verbrachte viel Zeit im Haus der Familie Rosenstein. Er fühlte sich dort sehr wohl. Es war ein musikalisches und gastfreundschaftliches Haus, Wolfs Mutter spielte am Flügel, sein Vater arbeitete im Aussenministerium und wirkte sehr jugendlich und offen. Martins Vater dagegen trank seit seiner Entlassung aus dem Militär und seine Mutter war bereits tot. Martin und Wolf zeigten sich gegenseitig ihre Fähigkeiten und Begabungen, tauschten ein neues gegen altes Fahrrad und wurden verwöhnt vom Chauffeur der Familie Rosenstein. Doch die politische Lage verschärfte sich, es gab Unruhen in der Stadt. Man hörte von der Festnahme Hitlers in München, doch die Situation veränderte sich glücklicherweise zum Positiven und man fühlte sich wieder etwas beruhigter und befreiter. Es wurden Feste organisiert im Hause Rosenstein, wo Martin zum ersten Mal auch Wolfs zwei Jahre ältere Cousine Lily kennenlernte. Sie verstanden sich alle perfekt miteinander und somit entwickelte sich eine neue und ganz ungewöhnliche Dreier-Freundschaft, die jedoch durch ein sehr « natürliches « Ereignis unterbrochen und nach Jahren in einer ganz neuen und vor allem auch tragischen Weise wieder entdeckt wurde…

Christoph Leuchter hat sich ein wunderbares Umfeld für diese raffiniert konstruierte Geschichte ausgesucht. Ein Dorf umgeben von Wiesen und Olivenhainen, guter Wein, die Nähe zur Kulturstadt Florenz, ein echtes Paradies für ein schönes Leben. Doch kann ein Leben auch dann paradiesisch werden, wenn es mit verdrängter Schuld beladen ist ? Der Hautprotagonist, Professor Di Landa, versucht an diesem Ort seiner Vergangenheit aus dem Weg zu gehen, und wird durch den vollkommen unerwarteten Selbstmord seines Freundes von seinen Erinnerungen wieder eingeholt. Christoph Leuchter gelingt es auf bemerksenwerte Weise durch seine sprachliche Kunst diese Gegensätze zwischen Traumlandschaft und Lebensdramatik so brillant zu verknüpfen, das der Leser im ersten Moment sich trotz der Tragik immer leicht auf einer toskanischen Sommerwiese gebettet fühlt.

« Der letzte Akte » ist kein Kriminalroman im klassischen Sinne. Hier wird nur ganz raffiniert ein junger, unerfahrener und unglücklicher Kriminalkommissar für die perfekte Rolle des « Zuhörers » für eine Lebensbeichte besetzt. Somit wird Corelli, wunderbar ironisch dargestellt, der personifizierte rote Faden in dieser doch sehr dramatischen Erzählung. Er klärt hier im Sinne der Polizeiarbeit nichts mehr auf, sondern teilt nicht nur mit Di Landa, sondern auch mit allen Dorfbewohnern in einer gewissen Weise und für ein bestimmte Zeit ihr gemeinsames Schicksal.

Chrisoph Leuchter schreibt musikalisch, malerisch und trotzdem sehr klar. Er ist emotionaler Künstler und kühler Beobachter in einer Person. Und genau diese zwei Perspektiven spiegeln sich auf ganz besonders kluge Weise in seinem faszinierenden und äusserst fesselnden Erstlingsroman, den man als anspruchsvoller Leser guter Literatur keinesfalls verpassen sollte!