Durchgeblättert – „Unpacking My Library: Writers and Their Books“ v. Leah Price

Im Dezember letzten Jahres ist nun das zweite Buch aus der Reihe « Unpacking My Library » erschienen. Diesmal dürfen wir einen Blick in die Privatbibliotheken berühmter zeitgenössischer Schriftsteller, wie zum Beispiel Junot Diaz, Jonathan Lethem, Philip Pullman und Edmund White werfen.

Sie kennen sicherlich den Spruch : „Sage mir, was Du isst und ich sage Dir, wer Du bist.“ Dieser Satz würde sich auch wunderbar – im Sinne eines geistigen Nahrungsmittels – auf Bücher übertragen lassen, die man in einer gewissen Form ja ebenfalls regelmässig « verzehrt ». Leah Price, Englischprofessorin (Harvard) und die Herausgeberin dieses wunderschönen und faszinierenden Bildbandes, geht noch viel weiter. Sie sagt in ihrem Vorwort : “To expose a bookshelf is to compose a self.’’

Der Aufbau ist ähnlich wie im ersten Buch « Architects and Their Books ». In diesem Fall werden 13 Autoren und ihre dazugehörige Privat-Bibliotheken vorgestellt. Leah Price führt mit jedem Einzelnen ein Interview und stellt Fragen unter anderem über die Ordnungssysteme innerhalb der Bibliotheken, die Lesegewohnheiten, die Sammelleidenschaften, die Vorlieben bezüglich e-Reader oder gedrucktem Buch. Sie möchte aber gerne von ihnen auch erfahren, wie ihre Bibliothek in fünf Jahren aussehen könnte, ob sie Bücher verleihen und welche Bücher zu ihren Top Ten gehören.

Die Antworten sind sehr interessant, manchmal auch überraschend. Doch letztendlich machen die zahlreichen Photos das Buch erst zu einem echten Erlebnis. Denn auch hier wurden –  wie bereits bei den « Architects »  – nicht nur die Bibliotheken im Ganzen fotografiert, sondern einzelne Regale herausgenommen und mit Hilfe der Kamera wie ein Stilleben festgehalten. Der Leser kann sich also quasi vor einzelne Regalböden « stellen » und schmökern.

Dieses mit hochwertigen Fotobildmaterial ausgestattete Werk ist mal wieder der Beweis, dass Bücher, nicht nur ein dekoratives Wohnaccessoire, sondern auch ein echtes Kulturgut sind, und Bibliotheken somit über einen Menschen mehr aussagen können, als man je zu denken vermag.

« Unpacking My Library » ist eine äusserst individuelle, sehr ambitionierte und grandios konzipierte Bildband-Reihe über die Privatbibliotheken interessanter und kluger Menschen. Möge sie endlos weiter fortgesetzt werden und wer weiss, vielleicht erscheinen diese Bücher in absehbarer Zeit auch in deutscher Übersetzung!

Durchgelesen – „Monsieur Proust“ v. Céleste Albaret

« Man hat von einem literarischen Ereignis gesprochen. Und ein Ereignis ist dieses Buch wohl wirklich. Was man bisher nur gewusst hat, das sieht man jetzt », so Hanno Helbling in der Neuen Zürcher Zeitung. Mehr als über 50 Jahre nach dem Tod von Marcel Proust am 18. November 1922 erschien in Frankreich 1973 ein Werk mit dem schlichten Titel « Monsieur Proust ». Die deutsche Erstausgabe wurde 1974 veröffentlicht und mit grosser Spannung erwartet.

Céleste Albaret (1891 – 1984) heiratete 1913 Odilon Albaret, einen Pariser Taxi-Fahrer, dessen wichtigster Kunde Marcel Proust war. Als Céleste nach der Hochzeit nach Paris zog, fühlte sie sich sehr einsam. Auf Initiative ihres Mannes bekam sie eine kleine Stelle zur Erledigung bestimmter Botengänge für Marcel Proust. 1914 wurden Odilon Albaret und das ganze männliche Dienstpersonal zu Kriegsdiensten eingezogen, so dass Céleste Albaret nun von der kleinen Botin zur Haushälterin aufsteigen konnte. Sie war nicht nur die Frau im proust’schen Haushalt, die sich um das Frühstück und die Garderobe kümmerte, sondern sie wurde auch seine unerlässliche Vertraute und ganz persönliche « Lektorin ». Céleste begleitete Proust zu seinem letzten Ausflug nach Cabourg, und arbeitete danach bei ihm  nur noch « eingesperrt » in seiner Wohnung am Boulevard Haussmann. Proust verliess sein mit Kork ausgelegtes Zimmer nur noch ganz selten und meistens nachts. Céleste passte sich dem äusserst ungewöhnlichen Lebensrhythmus an und stand ihm jederzeit, natürlich auch bei seinen schweren Asthmaanfällen mit grosser Fürsorge bei.

Céleste war inzwischen mehr als nur eine einfache Hausangestellte, sie war seine « Unersetzliche ». Proust versuchte sie an die Kunst, Musik und Literatur heranzuführen. Er empfahl ihr beispielsweise die « Drei Musketiere » von Dumas, welches sie als einziges der von Proust vorgeschlagenen Bücher las. Sie kümmerte sich lieber um seine Speisen (am Liebsten Hühnchen), welche oft zu den ungewöhnlichsten Zeiten zubereitet werden mussten. Anfangs ging alles noch eher schweigend von statten, doch nach einer gewissen Zeit sprach Marcel Proust mit ihr über seine Kindheit, über die Liebe, insbesondere die zu seiner Mutter. Er berichtete aber auch von seinen Erlebnissen, die er bei seinen Salonbesuchen nachts beobachtet hatte und die ihn nach seiner Rückkehr oft  stark beschäftigten :

 “ Nach einem erfreulichen Abend war es grossartig – ein wahres Feuerwerk. Sein Gesicht strahlte innere Fröhlichkeit aus.
« Bei mir ist alles fertig, Céleste ? »
« Ja, Monsieur, es ist alles bereit. »
« Gut, dann kommen Sie schnell, folgen Sie mir. Ich habe Ihnen viel zu erzählen. »
Ich folgte ihm in sein Zimmer. Er setzte sich gleich aufs Fußende seines Bettes, ich blieb vor ihm stehen, und es ging los.“

Trotz dieser fast schon innigen Vertrautheit und Nähe war ihr gemeinsamer Umgang – während dieser neun Jahre, die sie in einer ganz besonderen Form « miteinander « gelebt hatten, – geprägt von einer herzlichen und gleichzeitig sehr stilvollen Distanziertheit. Céleste stand grundsätzlich am Fusse seines Bettes, und hätte es nie gewagt, sich auf einen Stuhl in seinem Zimmer zu setzen, während Proust von der mondänen Pariser Gesellschaft erzählte.

Marcel Proust arbeitete intensiv an seinem grossen Œuvre: « Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ». Céleste unterstützte ihn, so weit sie konnte und durfte. Sie organisierte Literatur in der nächsten Buchhandlung und diskutierte mit ihm über die Vorbilder seiner Romanfiguren. Céleste war der Mensch, dem Marcel Proust alles auch im Bezug auf seine literarische Arbeit anvertraute. Sie war auch die Einzige, die wusste, dass der Gallimard Verlag Proust’s ersten Band der Recherche « Du côté de chez Swann » nicht veröffentlichte, weil der damalige Gallimard-Lektor André Gide das Werk gar nicht gelesen hatte. Das Manuskript war durch einen ganz besonderen Knoten zusammengepackt, und genau so verschnürt kam dieses Päckchen auch wieder zu Proust zurück. Céleste hatte dies sofort erkannt. Damit war der Grund für das Nichterscheinen eindeutig und deshalb wurde der erste Band auf Proust’s Kosten bei Grasset veröffentlicht, was Gallimard später noch bitter bereut hatte.

Die Bedeutung von Céleste Albaret war eindeutig nicht mehr steigerbar. Sie stand Proust nicht nur im « normalen » – sprich alltäglichen Leben bei, egal, in welchem physischen und psychischen Zustand er auch war. Sie versuchte ihn auch vor allen Widrigkeiten der Welt auf ihre Weise zu schützen. Vielleicht war sie für ihn eine Art Mutterersatz trotz ihres jugendlichen Alters. Marcel Proust öffnete ihr gegenüber immer mehr sein Herz und seine Seele. Er vertraute ihr und legte sehr viel Wert auch auf ihre Meinung. So ist es nicht verwunderlich, dass er selbst ihr den Vorschlag unterbreitete, ein Tagebuch zu führen und all diese Gespräche und Ereignisse festzuhalten :

„Eine Abends – es muss gegen Ende des Krieges gewesen sein, als ich schon drei oder vier Jahre bei ihm war – sagte er : « Liebe Céleste, ich frage mich, worauf Sie warten, um Ihr Tagebuch zu schreiben. »
Ich habe angefangen zu lachen :
« Ah, ich sehe schon, Monsieur, Sie machen sich wieder über mich lustig, wie Sie es so gern tun. »
« Ich meine es ernst Céleste. Niemand ausser Ihnen kennt mich wirklich. Niemand weiss so gut wie Sie, was ich tue, niemand kann all das wissen, was ich Ihnen sage. Nach meinem Tode wird sich Ihr Tagebuch besser verkaufen als meine Bücher. »“

Céleste Albaret war eine einfache herzensgute Frau, eine Frau voller Empathie und emotionaler Intelligenz und besonders reich an einer sehr unbefangenen und ehrlichen Verehrung gegenüber « ihrem » Marcel Proust. Genau aus diesem Grund hatte sie kein Tagebuch geschrieben und sowohl während ihrer Anstellung und als auch direkt nach dem Tode von Marcel Proust nie ein Interview gegeben. Sie zog sich nach der Beerdigung für lange Zeit zurück, führte ein kleines Hotel im 6. Arrondissement von Paris, das ihr Mann 1924 gekauft hatte. Erst in den Siebziger Jahren wurde sie durch den Sammler Jacques Guérin – den wir bereits in dem Werk « Prousts Mantel » von Lorenza Foschini kennengelernt haben – wiederentdeckt. Céleste Albaret verkaufte einige sehr wertvolle bibliophile Kostbarkeiten, die sie von Marcel Proust geschenkt bekam, an Jacques Guérin. Auf sein Anraten hin, hat sie ihre Erinnerungen an die Zeit mit Marcel Proust zum ersten Mal jemanden anvertraut, nämlich dem Lektor von Laffont – Georges Belmont -. Somit entstand dieses beeindruckende und einmalige Zeitdokument, das man mit keiner der vielen wissenschaftlichen Biographien vergleichen sollte, da es wesentlich mehr ist, als eine klassische Biographie.

« Monsieur Proust » ist « die Geschichte einer Faszination », so urteilte ein Kritiker der Süddeutschen Zeitung nach Erscheinen dieses Buches, das übrigens hervorragend von Margret Carroux übersetzt wurde. Nach fast vierzig Jahren hat dieses ganz besondere Werk seine Anziehungskraft nicht im Geringsten verloren. « Monsieur Proust », das sind die biographischen Erinnerungen einer sensiblen und sehr intelligenten Frau. Es sind selbst erlebte Gespräche und Beobachtungen mit und über einen der wichtigsten französischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Man könnte dieses Werk – auch wenn es manchmal ein wenig naiv erscheint und viele kritische Aspekte charmant ignoriert – als die schönste und privateste Annäherung an den grossen Schöpfer der «Recherche » bezeichnen.

« Monsieur Proust » eignet sich wirklich ganz besonders gut als Einstieg, um den Autor und vor allem den Menschen Marcel Proust kennenzulernen. Mit literarischem Fingerspitzengefühl und französischer Eleganz wurden diese Erinnerungen äusserst genau von Georges Belmont zu Papier gebracht. Es entstand ein kostbares Lebenszeugnis, welches man keinesfalls nur einmal lesen sollte. Dieses Buch ist wie ein lebenslanger Begleiter auf einen vielleicht daraus entstehenden und weiterführenden proust’schen Weg. Ab der ersten und bis zur letzten Seite von « Monsieur Proust » werden Sie ein verzückendes Gefühl verspüren, als könnten Sie gerade vor Marcel Proust’s Zimmer durch ein Schlüsselloch schauen und ganz tief in die Welt der « Erinnerung » eintauchen.

Durchgeblättert – „Zehn Gebote des Schreibens“

Wie verführen Schriftsteller ihre Leser ? Welche Techniken werden verwendet ? Was sind die geheimen Tricks der Autoren, einen Roman unvergesslich werden zu lassen ? All diese Fragen dürften ab sofort nicht mehr unbeantwortet bleiben. « Zehn Gebote des Schreibens » ist ein äusserst kompaktes kleines azurblaues Brevier, das keineswegs ein klassisches Handbuch über das Schreiben ersetzt, sondern sich als kleine Trickkiste 42 deutschsprachiger und internationaler Autoren entpuppt.

Wichtig ist vorab zu bemerken, dass dies keine allgemeingültigen, sondern eher sehr persönliche Richtlinien für das Schreiberhandwerk sind. Hier verraten uns bekannte und erfahrene Autoren ihre « zehn Gebote des Schreibens ».

Margaret Atwood reist sehr viel, deshalb : « Packe einen Bleistift ein, wenn du im Flugzeug schreiben willst, Füller laufen aus. Sollte der Bleistift abbrechen, kannst du ihn aber nicht anspitzen, da man im Flieger kein Messer mitnehmen darf. Deshalb : Nimm zwei Bleistifte mit. »

Für Andrea De Carlo ist es unter anderem sehr wichtig, dass das Leben und somit auch die Literatur abwechslungsreich bleibt : «Dulde keine Langeweile. Selbst die diszipliniertesten Schriftsteller brauchen Anregung in ihrem Privatleben. Langweilige Ehen, Beziehungen, Alltagsabläufe, Umgebungen führen unausweichlich zu langweiligen Romanen. Das Leben muss sexy bleiben. »

Moderne Technik ist nicht immer eine Garantie für den Schreiberfolg, deshalb bemerkt Jonathan Franzen vielleicht nicht zu unrecht : « Es darf bezweifelt werden, dass jemand mit Internetanschluss am Arbeitsplatz gute Romane schreibt.»

Doch was macht ein Schriftsteller, wenn er nicht schreiben kann, vor dem leeren Blatt sitzt und der Einfall einfach nicht kommen will. Da ist Thomas Glavinic ganz pragmatisch : «Wenn dir nichts einfällt, schreibe nichts. Eine Idee, auf die du selbst gekommen bist, ist meist nicht viel wert. Du musst auf eine Idee warten, die dich heimsucht, wenn du am wenigsten damit rechnest.»

Hakan Nesser findet die Gesellschaft eines Hundes beim Schreiben sehr angenehm, trotzdem sollte man folgendes beachten : «Lies deinem Hund niemals laut vor, was du während des Tages geschafft hast, bevor du ihn nicht anständig gefüttert hast. »

Sehr wichtig ist natürlich auch die Angst bezüglich der Literaturkritik. Sie sollte den Schriftsteller nicht schon beim Schreiben belasten, deshalb gehört für Cees Nooteboom das folgende Gebot zu seinen TOP 10: « Verschwende deine Gedanken nicht an Rezensenten. »

Es ist ein wahres Vergnügen und natürlich auch eine Bereicherung für jeden schreibenden und nicht schreibenden Leser, diese Auswahl verschiedenster « zehn Gebote » zu studieren. Wobei man sicherlich so manchen Ratschlag nicht immer allzu ernst nehmen sollte. Alle Autoren, die übrigens im Anhang mit einer Kurzvita vorgestellt werden, haben sehr unterschiedliche Regeln und Strategien, auch wenn sich manche ein klein wenig zu ähneln scheinen. Doch ein Gebot ist das Wichtigste, denn hier sind sich alle hier präsentierten 42 Schriftsteller einig : Lesen, Lesen und nochmal Lesen ! Juli Zeh ist der gleichen Meinung allerdings mit einem nicht ganz unbedeutenden zusätzlichen Hinweis : « Lies viel. Aber nicht die Bücher von Leuten, die es besser können als du. Das kannst du wieder machen, wenn dein Roman fertig ist.»

Geniessen Sie dieses wunderbar anregende Büchlein und tauchen Sie ein in die geheime Welt des Schreibens! Sie werden kurzweilige und bereichernde Momente erleben und selten so viel Freude an ganz besonderen Ratschlägen haben. Nutzen Sie die weissen leeren Blätter am Ende des Büchleins und schreiben Sie Ihre ganz persönlichen « Zehn Gebote » auf. Und wer weiss, vielleicht wird nach dieser besonderen Lektüre aus Ihnen, verehrter Leser, noch ein angesehener Schriftsteller…