Durchgelesen – „Madame Hemingway“ v. Paula McLain

« Paris – ein Fest fürs Leben » zählt zu den bekanntesten Werken Ernest Hemingways, das 1965 – vier Jahre nach seinem Selbstmord  – erschienen ist. Es behandelt die Jahre 1921 – 1926. Hemingway beschreibt in diesem Werk die Erinnerungen seiner Pariser Zeit, seiner literarischen Bekanntschaften und der teilweise glücklichen, aber letztendlich doch eher dramatischen Ehe mit seiner ersten Frau Hadley Richardson. « The Paris Wife » – wie sie meistens nur betitelt wurde –  ist in den Biographien über Ernest Hemingway immer ein wenig zu kurz gekommen. Das wird sich jedoch ab sofort ändern. Dank Paula McLain und ihrem aktuell in Deutschland erschienen Roman « Madame Hemingway » bekommt der Leser zum ersten Mal die Gelegenheit, diese faszinierende und aussergewöhnliche Frau an Ernest Hemingway’s  Seite näher kennenzulernen.

Paula McLain wurde 1965 geboren und studierte Kreatives Schreiben. Sie lebte in verschiedenen Künstlerkolonien wie zum Beispiel Yaddo und MacDowell. Paula McLain hat sich – wie sie es auch im Zusatzmaterial am Ende des Romans in einem Gespräch erklärt – sehr intensiv für dieses Buch vorbereitet. Inspiriert durch das Lesen von Briefwechseln und zahlreichen Biographien entwickelte sie diesen grandiosen Roman, der in einem historischen Rahmen eingebettet ist und gerade deshalb den fiktiven Teilen der Geschichte einen zusätzlichen und wichtigen Raum geben kann. Zum ersten Mal wird das Leben von Hadley Richardson in den zentralen Mittelpunkt gerückt und bekommt im Hinblick auf die Biographie und das Werk Ernest Hemingways eine ganz neue Bedeutung.

« Madame Hemingway » wird in der Ich-Form aus der Sicht von Hadley Richardson erzählt. Der Roman beginnt in Chicago im Jahre 1920 : Hadley und Hem (so wird Hemingway in Freundeskreises immer genannt) lernen sich per Zufall über ihre Freundin Kate bei einem Fest in deren Wohnung kennen. Hadley wird 1891 als jüngstes von vier Kindern in St. Louis (Missouri) geboren. Ihre Familie ist sehr wohlhabend und konservativ. Hadleys Mutter war eine sehr dominante und herrschsüchtige Frau. Trotzdem erhielten die Kinder eine gute Erziehung und Hadley und ihre Schwester bekamen zusätzlich noch privaten Klavierunterricht am hauseigenen Flügel. Als Hadley mit sechs Jahren einen Unfall hatte und aus dem Fenster stürzte, war sie für mehrere Monate krank und wurde infolgedessen während ihrer Kindheit und Jugend von der Mutter überbeschützt. Sie blieb immer irgendwie gesundheitlich angeschlagen und fiel nach dem Selbstmord ihres Vaters, der sich fast vor ihren Augen erschossen hatte, in eine tiefe Depression. Trotzdem kümmerte sie sich um ihre schwerkranke Mutter, die sie bis zu ihrem Tode pflegte.

Hadley reist auf Einladung ihrer Freundin Kate nach Chicago, blüht endlich im Alter von 28 Jahren etwas auf, feiert, geniesst das Leben, und trifft auf einen besonderen Mann :

« Ernest Hemingway war kaum mehr als ein Fremder für mich, doch er schien von Glück geradezu durchdrungen. Ich konnte keinerlei Angst in ihm erkennen, nur Lebendigkeit und Intensität. Seine Augen leuchteten in alle Richtungen, und sie funkelten mich an, als er sich zurücklehnte und mich mit einer Drehung schwungvoll an sich zog. Er hielt mich eng an seine Brust gedrückt, und ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Haar und Nacken. »

Hadley fühlt sich zum ersten Mal in ihrem Leben umworben und verliebt sich immer mehr in Ernest. Hem – sieben Jahre jünger als Hadley – war damals ein ambitionierter Mann, was seine journalistischen und schriftstellerischen Arbeiten betraf. Nach der Abreise von Hadley schreiben sie sich fast täglich sehnsuchtsvolle Briefe, treffen sich ein zweites Mal und heiraten schliesslich, denn Hem ist der Meinung, dass sie genau das richtige Mädchen für ihn ist. Hadley ist eher das Gegenteil von ihm: zurückhaltend, konservativ, fast schon ein wenig altmodisch. Auch wenn sich Ernest über ihre Art manchmal ein wenig lustig macht, schätzt er besonders ihre uneingeschränkte Loyalität. Das junge Paar lebt noch kurze Zeit in Amerika und verlässt auf Anraten eines Freundes die Heimat in Richtung Paris.

Mit wenig Geld in der Tasche – die Reise konnte durch eine Erbschaft von Hadley finanziert werden –  kommen sie in das pulsierende Paris der Goldenen Zwanziger Jahre an. Eine Welt, in welche die eher altmodische Hadley nicht wirklich zu passen scheint. Die Pariser Frauen sind selbst-bewusst, kleiden sich in Chanel, tragen schicke Kurzhaarfrisuren, ziehen mit Eleganz an ihrer Zigarettenspitze und geben sich dem Rausch der Nach-kriegsjahre hin. Auch Hadley und Hem versuchen in dieser neuen Welt Fuss zu fassen. Musik liegt in der Luft, der Jazz hat Paris fest im Griff, aber nicht nur das, auch der Alkohol spielt eine sehr grosse Rolle. Hadley und Hem wohnen sehr spartanisch in einem kleinen Appartement im 5. Arrondissement, das direkt neben einem Tanzlokal liegt. Diese Gegend gehörte damals zum alten Paris : ein wenig arm und dreckig. Hem verbringt viel Zeit in Cafés, um zu arbeiten – wie er immer behauptet – und Hadley kümmert sich um den Haushalt, kauft ein und entdeckt ihr Paris, wie beispielsweise die Märkte von Les Halles und die erwürdigen Häuser und schmalen Gässchen der Ile-St.-Louis. Auch wenn Hadley sich immer noch nicht richtig wohlfühlt, Hem ist von Paris begeistert :

« « Hier ist es so schön, dass es schon weh tut », bemerkte Ernest eine Abends, als wir auf dem Weg zum Dinner waren. « Liebst du es nicht auch ? » Das tat ich nicht, noch nicht, aber ich war beeindruckt. In dieser Zeit durch die besten Pariser Strassen zu laufen erweckte den Eindruck, durch die geöffneten Vorhänge in einen surrealen Zirkus zu blicken und jederzeit die Seltsamkeit und Pracht bewundern zu können. »

Ernest mietet sich ein kleines Zimmer zum Arbeiten und knüpft langsam immer mehr Kontakte in den Schriftstellerkreisen, während Hadley den Tag mit Klavierspielen und Spaziergängen verbringt. Inzwischen werden sie von namhaften amerikanischen Kollegen eingeladen, wie Gertrude Stein, Ezra Pound, F. Scott und Zelda Fitzgerald, die Hem endlich die Türen zu den berühmten Pariser Künstlerkreisen öffnen. Doch Hadley bleibt immer die Ehefrau, sitzt abseits, auch wenn sie ihren Mann unterstützt und sich als erste Leserin seiner Werke intellektuell einbringt. Ernest schreibt wie besessen und ist sehr launisch : einerseits lebt er fast schon euphorisch seine extreme Arbeitswut aus, andererseits ist er oft deprimiert, entmutigt und cholerisch. All diese Stimmungschwankungen erträgt Hadley mit einer würdevollen Selbstverständlichkeit, die sich durch ihre grosse Liebe zu Hem entwickelt hat. Sie reisen gemeinsam durch Europa, verbringen schöne Zeiten in Österreich und entdecken den Stierkampf in Spanien. Die Liebe ist stark und schwierig zugleich. Sie wird jedoch durch ein sehr grosses Missgeschick von Hadley, bei welchem sämtliche Manuskripte Hemingways in einem Zug gestohlen werden, zum ersten Mal auf eine harte Probe gestellt. Die Tatsache, dass Hadley dann auch noch von ihm schwanger wird, macht die bereits angespannte Lebens-situation zwischen ihr und Hem noch schwieriger. Ernest ist durcheinander und wird negativ von einigen Kollegen dahingehend beeinflusst, dass ein Kind nicht wirklich in ein Schriftstellerleben  – insbesonderen in seines – passt. Die zuerst sich viel versprechend entwickelnde Liebe zwischen Hadley und Ernest wird immer komplizierter, und erreicht ihren dramatischen Höhepunkt, als Hem sich in die Freundin von Hadley verliebt…

« Madame Hemingway » ist ein bemerkenswertes und mutiges Buch. Ein Roman, der zum ersten Mal Ernest Hemingway in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Die Autorin zeichnet einen Mann, der mehr als ein Macho ist, sich eigentlich nur um seine Arbeit und um seinen weiteren schriftstellerischen Erfolg kümmert. Doch in dieser beeindruckenden Liebesgeschichte kommt auch seine mitfühlende Seite zum Vorschein, die das Bild seiner komplexen Persönlichkeit ergänzt und nicht nur negativ darstellt.

Paula Mclain ist es gelungen, ein sehr bewegendes, informatives und beeindruckendes Porträt von Hadley Hemingway zu « malen ». Sie verwandelt die Hauptpersonen  zu wunderbaren Akteuren, welche durch die vielen Dialoge dem Leser eine Lebendigkeit und aktive Gegenwart vermitteln, als würde man am Nebentisch eines Cafés sitzen und mithören. Paula Maclain hat sich äusserst intensiv mit Hadely Richardson und natürlich auch mit Ernest Hemingway auseinandergesetzt. Sie sagt selbst, wie wichtig es ist, dass alle Personen, die tatsächlich gelebt haben und hier in dem Roman als fiktive Figuren auftreten, trotzdem so autenthisch, aber vor allem auch im Hinblick auf die historischen Lebensläufe so realistisch wie möglich dargestellt werden. Paula McLain erzählt mit sehr graziler Feingefühligkeit und hoher Empathie den Lebens- und Liebestraum eines ganz aussergewöhnlichen Paares. Sie findet den richtigen Ton und Rhythmus in ihrer Sprache und kann diesen literarisch gekonnt an ihre Hauptdarsteller weitergeben.

« Madame Hemingway » ist eine Liebesgeschichte, eine romaneske Biographie einer sehr charakterstarken Frau und ein sehr stimmungsvolles Buch über die «Golden Twenties» in der Kulturmetropole Paris. Dieses Buch wird jeden literatur- und kulturbegeisterten Leser in seinen Bann ziehen. Es ist ein Roman voller Leidenschaft, Glück, aber auch Verrat, Selbstsucht und Angst. Ein emotional und sprachlich sehr gelungenes Werk, das nicht nur eine Frau in ihrer ganzen Würde trotz Einsamkeit und Schmerz porträtiert, sondern auch zeigt, wie aufregend und gleichzeitig kompliziert es sein kann, mit einem Schriftsteller-Genie wie Ernest Hemingway verheiratet zu sein.

Tauchen Sie ein in das pulsierende und glamouröse Paris der zwanziger Jahre und begleiten Sie ein ungewöhnliches Paar durch ihre respektvolle, aber auch schmerzliche Liebe! Sie werden es nicht bereuen, denn dieses Buch ist wie Paris, ein wahres Fest für das Leben !

Friedrich Georg Jünger – Gedicht

Im Grase

Wer sich ins Gras legt,
Wer lang liegt, für den ist
Zeit und Mühn nichts.
Wer liegt, der vergißt.

Was sich um ihn bewegt,
Wenn er liegt,
Bewegt ihn sanft mit.
Er wird gewiegt.

Ihn verläßt, ihn flieht
Zahl und Zeit.
Er entrinnt, ihm verrinnt
Lust und Leid.

Weise wird er, still
Wie das Gras, das grüne Moos.
Er bettet sich tief
In der Himmlischen Schoß.

Der Wind kommt und geht.
Die Wolke zieht.
Der Falter schwebt. Der Bach
Murmelt sein Lied.

Halm und Laub
Zittern und flüstern leis.
Wasser und Wind
Gehen im Kreis.

Was kommt, geht. Was geht, kommt
In der Wiederkehr Gang.
In der Himmlischen Bahn
Wird die Welt Tanz, wird Gesang.

Durchgelesen – „Schweine züchten in Nazareth“ v. Amanda Sthers

Kann man vor seinen Gefühlen fliehen? Ist es eine Alternative, Schweine in Israel zu züchten, statt sein Leben als erfolgreicher Kardiologe in Paris zu verbringen ? Dürfen Ehefrauen keine Nervensägen sein und müssen Kinder immer so werden, wie es die Eltern wollen ? So viele Fragen, doch dazu gibt es nur eine Antwort : Lesen Sie « Schweine züchten in Nazareth » von Amanda Sthers !

Amanda Sthers, ihr richtiger Name ist Amanda Queféllec – Maruani, wurde am 18. April 1978 in Paris geboren. Ihre Mutter stammt aus der Bretagne, ist Anwältin und katholisch. Sie tritt extra zum jüdischen Glauben über, um den Vater von Amanda Sthers, einen jüdisch-tunesischen Psychiater, heiraten zu können. Amanda Sthers selbst hat zwei Kinder von ihrem ersten Mann, dem Sänger Patrick Bruel und lebt inzwischen in einer neuen Partnerschaft mit dem Sänger Sinclair, mit dem sie auch gemeinsame berufliche Projekte verfolgt. Amanda Sthers schreibt Chansons, Romane und Theaterstücke, wie zum Beispiel : « Le Vieux Juif blonde », durch das sie 2006 richtig berühmt wurde. Der aktuell nun in deutscher Übersetzung veröffentlichte Roman « Schweine züchten in Nazareth » erschien bereits in Frankreich 2010 unter dem Titel « Les Terres saintes ».

Selbst wann man kein Schweinefleisch isst, da es den Cholesterinspiegel ungünstig beeinflussen würde, und man sich gleichzeitig in einem Land befindet, das mit dem Schwein aus rein religiösen Gründen so seine Probleme hat, kann eine Schweinezucht trotzdem die perfekte Methode sein, um ein ganz neues Leben zu beginnen und somit den familiären Problemen zu entfliehen.

Und genau zu diesem Schritt entscheidet sich Harry Rosenmerck, einer der Hauptprotagonisten dieses sehr exzentrischen Romans. Er ist Kardiologe, geschieden und hat zwei erwachsene Kinder. Harry beschliesst, trotz der vehementen Kritik von Rabbi Moshe Cattan, Schweine in Nazareth zu züchten. Harry beachtet sämtliche Vorschriften und  Bedingungen : die Schweine dürfen den Boden des heiligen Landes auf keinen Fall berühren und werden deshalb in Ställen mit einer sogenannten Pfahlkonstruktion gehalten. Harry’s Schweine werden zu Speck verarbeitet, welchen er dann an ein Restaurant in Tel Aviv liefert. Laut Harry’s Recherchen, könnte man sie aber auch zur Terrorismus-bekämpfung einsetzen, wobei man Schweineblut abgefüllt in die städtischen Busse hängt und somit die Terroristen bei einem Anschlag mit diesem Blut beschmutzt werden und dadurch unrein sind und von jeglicher Aufnahme ins Paradies nur noch träumen können. Doch Rabbi Moshe ist in jeglicher Hinsicht schockiert. Es entwickelt sich zwischen diesen beiden Herren ein sowohl politischer, aber auch emotionaler Schlagabtausch in Form eines Briefwechsels :

« Lieber Herr Rosenmerck,

ich sehe, dass ich Sie mit meiner Bitte, sich zu waschen, gekränkt habe. Erlauben Sie mir bitte, mich dafür zu entschuldigen. Ich will Sie nicht deshalb in die Jeschiwa einladen, um Ihnen Ihre Tefillin anzulegen. Unsere Religion, wie Sie sehr wohl wissen, zeichnet sich nicht durch Bekehrungseifer aus, vor allem nicht gegenüber Menschen, die bereits Juden sind. (Sind Sie es tatsächlich, wenn Sie nicht beschnitten sind ? Mit dieser Frage muss ich mich noch auseinandersetzen.)

Besuchen Sie mich, Herr Rosenmerck. Ich kann nicht zu Ihnen kommen. Es ist mir nicht gestattet, mit der Schweinerasse in Kontakt zu treten.

Mit freundlichen Grüssen, Moshe Cattan, Rabbi von Nazareth»

Aber nicht nur Harry und Rabbi Moshe führen einen kuriosen und lebhaften Briefwechsel, auch die anderen Mitglieder der Familie Rosenmerck tauschen sich in dieser Form aus, oder treffender formuliert : sie beschimpfen und kränken sich gegenseitig mit Briefen und Mails.

Harry ist nämlich seit dem Outing seines Sohnes David verstummt.  Er redet nicht mehr mit ihm, bzw. antwortet nie, obwohl David unermüdlich Briefe an seinen Vater schreibt, in denen er um seine Liebe und Aufmerksamkeit bettelt, die durch seine Liebesbeziehung mit einem Mann vollkommen abhanden gekommen ist. David ist ein in Paris gefeierte Theaterautor und widmet seinem Vater extra ein Theaterstück mit dem Titel « Schweine züchten in Nazareth ».

Annabelle ist Harry’s Tochter. Sie lebt in New York und ist ständig in viel zu alte Männer verliebt, die sich nie für sie von ihrer Frau trennen würden. Sie durchlebt einen dauerhaften bzw. immer wiederkehrenden Liebeskummer und macht deshalb seit Jahren eine Therapie. Doch durch eine Besuch bei ihrem Vater in Israel entdeckt sie ganz neue Seiten an sich.

Und dann gibt es noch Monique Duchêne, die Ex-Frau von Harry Rosenmerck, die ständig an Annabelle herummäkelt und endlich hofft, dass sie einen Mann bekommt, den sie verdient. Monique sieht eigentlich nur die Intelligenz ihrer Tochter und interessiert sich nicht wirklich dafür, was in ihrem Herzen vorgeht. Sie ist keine Mutter, die trösten kann, denn dazu ist sie selbst viel zu neurotisch. Doch auch sie schreibt ihrem Ex-Mann immer wieder Briefe, weil sie ihn wahrscheinlich doch noch ein wenig liebt, weil er der Vater ihrer Kinder ist und weil sie plötzlich sehr krank wird…

« Schweine züchten in Nazareth » ist eine höchst vergnügliche, aber gleichzeitig auch melancholische  Geschichte, um eine irgendwie verrückte und trotzdem nicht ganz unrealistische Familie. Der Roman hat sehr viele autobiographische Züge, denn wie Amanda Sthers Mutter, tritt auch Monique für Harry extra zum jüdischen Glauben über. Amanda Sthers gelingt es mit ihrer Briefroman-Technik ein Feuerwerk an guten und schlechten Gefühlen so raffiniert und authentisch zu präsentieren, als wäre sie der Regisseur eines Films oder Theaterstücks. Alle Protagonisten beschimpfen sich, streiten sich, lieben sich und versuchen sich zu versöhnen. Den Rahmen für diese skurrile und teilweise extrem komische Geschichte bildet die trotz aller Probleme entstehende und reifende Freundschaft zwischen dem Rabbi Moshe und Harry. Denn auch hier geht es um Versöhnung und Anerkennung.

Amanda Sthers hat ein fantastisches Gespür für die Psyche der Menschen. Sie kann glänzend mit der Sprache umgehen, spielt mit Ironie und lakonischen Redewendungen und verleiht dadurch ihren Briefen eine bewusst gesteuerte Direktheit, die diesen Roman so unglaublich lebendig und trotz aller Tragik unterhaltsam macht. Amanda Sthers gibt uns aber auch gesellschaftskritische und politische Einblicke in das Land Israel und öffnet mit ihrem wunderbaren Humor neue Türen bezüglich Freundschaft und Aussöhnung.

« Schweine züchten in Nazareth » ist eine äusserst geistreiche und bewegende Liebesgeschichte, bei der man sich wünscht, das sie nie enden würde ! Ein Roman, der berührt, aufklärt, Glück verbreitet, lautes Lachen auslöst und zum Nachdenken anregt. Kurzum ein wunderbares Buch von einer sehr begabten Autorin !

Durchgeblättert – „Lies und Höre – Orte der Dichtung und Musik“ v. Volker Gebhardt

Deutschland, das Land der Dichter und Musiker, aber auch der kulturellen Orte wie Theater, Musikhäuser und Bibliotheken. Ein Land das zwar Vieles bietet, aber leider oft unentdeckt bleibt. Wie wäre es nun mit einer Reise zum Beispiel auf den Spuren von Goethe, Hölderlin, Bach und Beethoven. Da werden Sie nun sagen, alt bekannt und nicht wirklich etwas neues, doch weit gefehlt !

Um die Bedeutung vieler pompöser Villen und Gebäude, aber auch kleiner Gartenhäuschen etc. zu verstehen, werden wir von Volker Gebhardt mit seinem faszinieren Bild- und Textband « Lies und Höre » auf eine Art kulturelle Wanderung durch Deutschland mitgenommen. Volker Gebhardt hat nach seinem Studium der Kunstgeschichte am Warburg Institute in London in verschiedenen Verlagen gearbeitet und ist heute als freier Autor und Publizist tätig. Bei diesem kulturellen Reisebuch wurde er von den zwei Fotografen Horst und Daniel Zielske begleitet, die sich seit über zwanzig Jahren auf Landschafts- und Architekturfotographie spezialisiert haben.

Gleich zu Beginn dieser besonderen « Lies und Höre » – Reise findet man in diesem sehr aufwendig gestalteten Buch direkt neben dem Inhaltsverzeichnis eine äusserst übersichtliche Deutschlandkarte mit den jeweilig gekennzeichneten kulturellen Orten, die in diesem Band besprochen bzw. vorgestellt werden. Man muss fairerweise ergänzen, dass hier aufgrund einer ganz bewussten Auswahl von Volker Gebhardt, ein gewisser Mut zur Lücke im Hinblick auf Dichterhäuser etc. beabsichtigt war. Es geht hier nicht darum alles abzudecken, sondern besondere und bedeutende Repräsentanten der deutschen Kultur in den Mittelpunkt zu rücken.

Somit können wir unsere Reise beispielsweise im Süden starten : Über das Hermann-Hesse-Haus in Gaienhofen oder den Hölderlinturm in Tübingen – weiter in die Mitte Deutschlands nach Leipzig zum Bachmuseum und der Thomaskirche  – mit einem Schlenker nach Osten zu einer Wanderung durch das Ruppiner Land auf den Spuren von Theodor Fontane  – mit dem Endziel im Norden Meeresluft zu schnuppern und dabei das Theodor-Storm Museum in Husum zu besuchen.

Sie können aber auch im Norden mit einem Abstecher ins Buddenbrookhaus in Lübeck beginnen, in den Westen weiterreisen nach Bonn für einen kurzen Besuch im Beethoven-Haus, um dann von dort aus direkt quer durch die Republik im Osten eine Pause in Goethes Gartenhaus in Weimar einzulegen. Weiter geht es dann über einen kleinen Umweg über Bayreuth und Richard Wagner schliesslich nach Meersburg an den Bodensee, um als krönenden Abschluss den schönen Alpenblick vom Domizil der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff aus geniessen zu können.

Wie Sie sehen, kann kulturelles Reisen sehr abwechslungsreich und kurzweilig sein. Volker Gebhardt führt uns mit seinem Buch « Lies und Höre » an Orte, die wir nicht so schnell wieder vergessen, zeigt uns überraschende Details und macht uns durch seine prägnanten Kurzbiographien der Dichter, Musiker und Denker neugierig auf mehr. Dieser gelungene Band besticht durch sehr kompetente Texte und die traumhaften Landschafts- und Architektur-aufnahmen, die eine Reise wunderbar ergänzen, aber natürlich niemals ersetzen würden. Denn wie bereits Goethe treffend formulierte : « Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen. » Deshalb zögern Sie nicht länger! Lassen Sie sich durch dieses schöne Buch inspirieren. Reisen Sie auf den Spuren deutscher Philosophen und Literaten und geniessen Sie die dazugehörige Musik in der beeindruckenden Architektur deutscher Konzert- und Opernhäusern !

Durchgelesen – „Unverdächtig“ v. Tanguy Viel

Eine Liebe ohne Geld oder Geld ohne Liebe – was ist falsch und was ist richtig ? Bei dieser Frage denkt man sofort an Theodor W. Adorno, der die Antwort auf diese Frage eigentlich mit seinem berühmten Satz «  Es gibt kein richtiges Leben im falschen » bereits beantwortet hat. Diese Sentenz, die übrigens aus der « Minima Moralia » stammt, ist zwischen 1944 und 1947 entstanden und sollte dazu beitragen, die Differenz zwischen richtig und falsch zu bekräftigen und die Wichtigkeit zu verdeutlichen, das Richtige zu erkennen.

« Unverdächtig » ist trotz dieser sicherlich interessanten und nachdenkenswürdigen Anmerkung kein philosophischer Roman. Ganz im Gegenteil,  dieses Buch ist ein ganz verrückter und außergewöhnlicher Thriller, der sich um eine « amour fou » und um einen unerfüllten Traum dreht und vielleicht deshalb ganz unbewusst diesen adorn’schen Aphorismus als Motto hat.

Tanguy Viel, geboren 1973 in Brest – die « Hauptstadt » der Bretagne -, ist einer der aufsteigenden jungen französischen Autoren. Bevor er sich ganz dem Schreiben widmete, arbeitete er in einem Theater in Tours. Er war von 2003 – 2004 Gast in der « Villa Medicis », die als Herberge der « Académie de France » in Italien dient. 2009 erhielt Viel den Prix de la Ville Carhaix für seinen Roman Paris-Brest.

« Unverdächtig » (im Original « Insoupçonnable ») erschien bereits 2006 in Frankreich, wurde als erster Roman in deutsche Übersetzung 2007 veröffent-licht und liegt uns nun in der aktuellen Taschenbuchausgabe vor, die jeden Urlaub – ob auf dem heimatlichen Balkon oder am fernen Strand – zu einem äusserst kurzweiligen und spannungsreichen Erlebnis macht.

Der Roman spielt in einem bretonischen Küstenstädtchen. Die Haupt-protagonisten sind drei Männer und eine Frau. Es geht um menschliche Abgründe, Treue, Verrat, Lügen und Liebe.

Sam und Lise sind ein eher unkonventionelles Paar. Sie arbeitet nachts als Bardame, um Männer zu animieren, zu mehr Alkohol, aber auch zur Liebe. Doch Lise ist im Vergleich zu ihren Kolleginnen konsequent und geht nie bis zu dem eigentlich letzten Schritt. Sam ist unendlich verliebt in Lise. Er selbst trödelt in seinem Leben herum, ist arbeitslos und verbringt die meiste Zeit mit Schlafen und Fernsehen. Er träumt vom grossen Geldregen und von einem besseren Leben mit Lise. Beide würden so gerne in die USA gehen, doch es scheint momentan nur ein Traum zu bleiben.

Bis zu jenem Zeitpunkt, als Lise’s bester Kunde – der Witwer Henri – ihr einen Heiratsantrag macht ! Henri ist ein sehr wohlhabender Auktionskommissar. Kurzum er verkauft edle Antiquitäten und  lebt in einem sehr grossen und eleganten Haus. Er ist quasi ein richtig guter Fang. Lise und Sam schmieden einen Plan :

« Ich erinnere mich an den Klang ihrer Stimme an jenem Morgen, wir beide mit den Ellbogen auf der Fensterbank, wir beide lange Minuten still, all dies schien wie in einem Block zu uns zu sprechen, und unsere Blicke aufeinander geheftet, ich erinnere mich, wie sie irgendwann sagte : Jetzt oder nie, das ist die Gelegenheit Sam. Wie, die Gelegenheit wozu, Lise, die Gelegenheit wozu ? »

Wozu, das ist ganz klar, um endlich ihren Traum zu realisieren. Lise heiratet Henri und Sam, der Geliebte, avanciert zum « falschen » Bruder und Trauzeugen. Ein wahrlich sehr gefährliches Unterfangen, denn Sam und Lise versuchen trotzdem sich immer sehr nah zu sein und begeben sich dadurch mehr und mehr in grosse Gefahr, entdeckt zu werden. Sie haben nämlich eines ganz vergessen, oder sollte man eher sagen einen, den Bruder von Henri : Edouard. In diesem Fall ist er der echte Bruder, er arbeitet genau wie Henri als Auktionskommissar in der gemeinsamen Firma und ist ein leidenschaftlicher Golfer. Sam, der neue « Schwager » wird nun zum Golfpartner des besonders introvertierten Edouard, aber nur für kurze Zeit. Denn Sam und Lise hecken einen in ihren Augen absolut genialen Plan aus : Lise wird entführt und Henri soll Zahlen – eine Million Dollar ! Doch leider klappt die inszenierte Entführung nicht im Geringsten und das vollkommen unvorhergesehene Chaos nimmt einen dramatischen Verlauf…

« Unverdächtig » ist zwar ein sehr schmaler, aber dafür umso genialer Roman, der sich dem Einfluss der sogenannten « Nouvelle Vague », einer ganz besonderen französischen Kinobewegung in den 50 Jahren, nicht entziehen kann. Man denkt sofort an François Truffaut, der sicherlich aus diesem Roman einen subtil spannenden und befreiten Film hätte zaubern können. Tanguy Viel schreibt als wäre er der Kameramann, lässt seinen Ich-Erzähler Sam die Gegenwart und die Vergangenheit gekonnt vermischen, so dass beim Lesen eine visuelle Ästhetik entsteht, die man selten bei Kriminalromanen finden kann. Der Leser wird nicht nur Zuschauer, er erlebt dieses Buch, riecht die Meeresluft und verspürt zunehmend die beklemmende Atmosphäre.

Doch « Unverdächtig » wäre ohne der Übersetzungskunst von Hinrich Schmidt-Henkel nicht das, was wir hier vor Augen haben. Jede Feinheit, jede Stimmung ist wunderbar eingefangen, selbst das, was man zwischen den Zeilen liest, wurde « übersetzt ». Eine herausragende Leistung, die wir als anspruchsvoller Leser wahrlich geniessen können.

« Unverdächtig » ist ein Buch mit Tiefgang, Magie, Thriller-Flair und einem Überraschungscoup. Ein Roman, wo Sätze zu Bildern werden, ausgestattet mit sprachlich und stilistisch feinster Raffinesse und einem meisterhaft aufgebauten Spannungspotential. Dieses Buch lädt ein nochmals über den eingangs erwähnten Satz von Adorno nachzudenken und sich selbst bewusst zu werden, was es bedeutet, das richtige Leben zu führen. Ein brillantes Buch von einem vielversprechenden Autor !