„Ich werde meine Erfahrungen zu Literatur verarbeiten. Sollte daraus ein gutes Werk entstehen, möge mir vergeben werden.“
Monat / März 2011
Durchgelesen – „Mathilde und der Duft der Bücher“ v. Anne Delaflotte
Kennen Sie auch diesen unbeschreiblichen Duft eines Buches? Ein Duft, der angenehm nach Papier und Holz riecht. Ein Duft, der sich in die Nase des Lesers einnistet und die Lektüre begleitet, bis er das Buch am Ende aus der Hand legt. Es ist ein sehr sensuelles Erlebnis, auf das jeder Bibliophile sicherlich nie verzichten möchte. Ja und wer könnte diesen Duft eines Buches nicht besser beschreiben und erklären als ein Buchbinder bzw. eine Buchbinderin.
Anne Delaflotte lässt uns mit ihrem ersten Roman „Mathilde und der Duft der Bücher“, der nun ganz aktuell auch in deutscher Übersetzung erschienen ist, eintauchen in Welt des Buchbinderhandwerks. Anne Delaflotte ist 1967 in Auxerre geboren und im Burgund aufgewachsen. Sie studierte in Paris internationales Recht und Diplomatie und ist selbst gelernte Buchbinderin. Seit 1993 betreibt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Alexander Mehdevi, eine internationale Buchhandlung in Prag. Inzwischen lebt sie dort auch als freie Schriftstellerin.
„Mathilde und der Duft der Bücher“ spielt in einem kleinen Ort namens Montlaudun in der Dordogne. Mathilde ist eine junge Frau Ende zwanzig und hat sich nach einer sehr atemberaubenden Karriere als Diplomatin in Paris für das Buchbinderhandwerk entschieden, welches bereits ihr geliebter Grossvater ausgeübt hatte. Sie hat sich von ihrem Erbe und Ersparten ein Haus in diesem kleinen Dorf gekauft. Mitten im Dorfkern arbeitet Mathilde in ihrem Laden-Atelier zwischen zum Teil sehr netten Nachbarn, wie der Bäcker André und der Schuster Sébastien, aber auch schwierigen alteingesessenen Damen wie die Besitzerinnen des kleinen Tante Emma Ladens. Das Geschäft läuft für Mathilde jedoch sehr schleppend und sie muss sich um ihre Kundschaft mehr als bemühen, fast schon kämpfen.
Doch sie bereut ihre Entscheidung nicht, jetzt als Buchbinderin zu arbeiten, denn sie liebt Bücher. Jeden Morgen geniesst sie ihr Frühstück im Atelier umgeben von Büchern und streicht danach ihre Hand über die Buchrücken der noch zu restaurierenden Werke:
„Dann erst mache ich richtig Bekanntschaft mit dem Objekt. Es reicht nicht aus, es bloss in Augenschein zu nehmen, man muss das Gewicht fühlen, Mass nehmen, es in der Hand spielen lassen. Manchmal schweife ich ab und lese aufs Geratewohl hier und da einige Zeilen. Damit verstosse ich gegen die Regeln meines Grossvaters und Lehrmeisters, der die Ansicht vertrat, ein Buchbinder habe nicht zu lesen. Ein Analphabet sei für die Arbeit am geeignetsten, ob es nun seine Enkelin war oder sonst wer. Er empörte sich über die Auffassung, man dürfe ein Buch schon vorsichtig aufschlagen und sich an seinem Stil ergötzen, wenn der Leim vielleicht noch nicht ganz trocken, der Block aber schon fest ist.“
Eines Tages – Mathilde ist sehr vertieft in ihre Arbeit – klopft es an der Tür und ein junger, sehr attraktiver Mann betritt ihr Atelier. Er übergibt ihr ein altes und durch Brandspuren beschädigtes Buch zur Restauration. Mathilde ist ganz verwirrt, der Mann ist ihr vollkommen unbekannt, scheint auch nicht aus dieser Gegend zu kommen. Er versprüht jedoch einen ungewöhnlichen Duft nach Wald und Erde, der sie fasziniert. Der Mann wirkt kränklich und schwächelt. Sie versucht ihm zu helfen, aber er lehnt ab, gibt ihr eine Anzahlung von 100.- Euro und sagt, dass er das Buch nach sechs Tagen, so wie Mathilde es vorgeschlagen hat, wieder abholen werde. Er wollte keine Quittung und die eigentlichen Preisver-handlungen sollten zwei Tage später stattfinden. Doch dazu kommt es nicht mehr. Der unbekannte junge Mann wollte nach dem Besuch in Mathildes Atelier zum Bahnhof, um den Zug nach Paris nehmen zu können, doch leider wird er von einem LKW auf dem Bahnhofsplatz erfasst und ist sofort tot.
Mathilde ist geschockt und vollkommen durcheinander. Und genau in diesen Momenten helfen nicht nur die netten Nachbarn, sondern vor allem ihr geliebter „Cyrano“. Das berühmte Buch „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand ist ihr Lieblingswerk. Es liegt auf ihrem Nachtisch und tröstet sie in schwierigen Zeiten. Es hilft bereits das Lesen einiger Zeilen und schon kann das Leben wieder weitergehen.
Das alte Buch dieses verunglückten Mannes liegt nun auf ihrem Ladentisch und Mathilde hat nicht mal den Namen des Besitzers, geschweige denn die Adresse. Was soll sie tun? Sie sieht sich das Buch in Ruhe an: es enthält Zeichnungen und Aquarelle einer galloromanischen Tempelanlage in einem Wald. Mathilde entscheidet sich für die Restaurierung und entdeckt dabei eine handgeschriebene Namensliste. Sie wird neugierig und fängt an, Nachforschungen zu unternehmen. Sie spürt, dass dieses alte Buch ein Geheimnis enthält, welches sie unbedingt aufdecken muss. Doch Mathilde hat nicht gedacht, dass auch dadurch für sie Probleme entstehen können: ihre mühsam akquirierten Aufträge werden annulliert, es wird schlecht über ihre Buchbindekunst geredet und es wird so gar in ihrem Atelier eingebrochen. Hat dies alles vielleicht mit dem alten Tempel-Buch des unbekannten Mannes zu tun … ?
„Mathilde und der Duft der Bücher“ ist ein faszinierendes, zauberhaftes, aber auch spannendes Buch. Selten finden wir in Romanen die Buchbinderhandwerkskunst so sensibel und authentisch beschrieben wie in diesem wunderbaren Werk. Man möchte sich am Liebsten bei der Lektüre neben Mathilde stellen, das Leder berühren, seine Nase in das Papier halten und zusehen, wie sie den Block festklebt . Dieser Roman ist ein sprachlich so elegantes und musikalisches Buch! Allein schon durch die immer wieder eingebauten Stellen des „Cyrano de Bergerac“ und durch die literarische Feinfühligkeit, wie Anne Delaflotte über die restaurierende Bücher schreibt, als wären sie Lebewesen, lässt sie uns mit ihrem Roman nicht nur Edmond Rostand neu oder wiederentdecken, sondern auch den sensuellen Wert eines Buches erfassen.
„Mathilde und der Duft der Bücher“ ist ein ganz besonderes und aussergewöhnliches Prosastück, voll französischer Atmosphäre, Raffinesse und auch einer gewissen Dramatik. Anne Delaflotte hat darüberhinaus ein durchaus sehr informatives Werk in Punkto Buchbinderei, aber gleichzeitig einen sehr sinnlichen und luftigen Roman aus der Welt der Bücher geschrieben, der den Leser beglückt und in eine magische Stimmung versetzt. Nach dieser wundervollen Lektüre werden Sie in Zukunft immer ihre Hände zärtlich über den Einband eines Buches streichen und ihre Nase ganz zielstrebig an das Papier führen, um den ganz besonderen und vielleicht auch betörenden Duft der Bücher aufsaugen zu können!
Ernst Jandl – Zitat
„die Welt ist laut – laut ist schön!“
Friedrich Nietzsche – Gedicht
Das nächtliche Geheimnis
Gestern Nachts, als Alles schlief,
Kaum der Wind mit ungewissen
Seufzern duch die Gassen lief,
Gab mir Ruhe nicht das Kissen,
Noch der Mohn, noch, was sonst tief
Schlafen macht – ein gut Gewissen.
Endlich schlug ich mir den Schlaf
Aus dem Sinn und lief zum Strande.
Mondhell war’s und mild – ich traf
Mann und Kahn auf warmem Sande,
Schläfrig beide, Hirt und Schaf: –
Schläfrig stiess der Kahn vom Lande.
Eine Stunde, leicht auch zwei,
Oder war’s ein Jahr? – da sanken
Plötzlich mir Sinn und Gedanken
In ein ew’ges Einerlei,
Und ein Abgrund ohne Schranken
That sich auf: – da war’s vorbei! –
Morgen kam: auf schwarzen Tiefen
Steht ein Kahn und ruht und ruht —
Was geschah? so riefs, so riefen
Hundert bald – was gab es? Blut? –
Nichts geschah! Wir schliefen, schliefen
Alle – ach, so gut! so gut!
Durchgelesen – „Madame Cottard und die Furcht vor dem Glück“ v. Rainer Moritz
Welch eine Freude die Pariser Buchhändlerin Nathalie Cottard und ihren Verehrer und Retter in der Not Robert Bernthaler wieder zu treffen. Bereits vor gut einem Jahr ist der erste Roman unter dem Titel „Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe“ um dieses charmante „Paar“ erschienen. Jeder Leser dieses ersten Werks hat am Ende gehofft und auch ein klein wenig geahnt, dass diese besondere Liebesgeschichte weitergehen wird. Es stellte sich nur die Frage wie?
Rainer Moritz hat uns wieder voller Charme und Einfühlungsvermögen ein neues wunderbares Buch präsentiert, das von der ganz frischen Liebe, ja eher noch vom Verliebtsein eines doch sehr erwachsenen und erfahrenen Paares berichtet. Rainer Moritz hat eine Schwäche für schöne Geschichten, für besondere Buchhändler – denkt man nur an sein fantastisches Buch „Die schönsten Buchhandlungen Europas“ – und er schwärmt für Paris, einer Stadt, in der er immer mal wieder wohnt, wenn er nicht in Hamburg anzutreffen ist.
Die Geschichte von „Madame Cottard und die Furcht vor dem Glück“ beginnt in der Bretagne. Nathalie und Robert – inzwischen sehr verliebt – wollen der wahren Liebe nachspüren. Und wo könnte das nicht schöner und romantischer sein, als in einem kleinen Fischerdorf am Atlantik. Doch leider währt dieses gemeinsame Glück nur sehr kurz, da Robert Bernthaler dringend aus beruflichen Gründen nach Paris zurück muss.
Die Nachricht, die Robert in der Pariser Dependance der schwäbischen Korkenfirma erreicht, ist alles andere als positiv. Er soll schnellst möglich in den Firmensitz nach Deutschland zurückkehren, da der Seniorchef seiner Firma ganz unerwartet verstorben ist. Die ganze Firma soll umstrukturiert werden und das Schlimmste steht noch bevor: man will die Pariser Filiale schliessen und Robert soll wieder fest in Deutschland – genauer in Tübingen – arbeiten.
Nathalie ist bezüglich dieser Neuigkeiten alles andere als begeistert. Sie versucht sich abzulenken, arbeitet viel in der Buchhandlung, lässt sich durch ihre Freundinnen auf andere Gedanken bringen und muss gleichzeitig noch das Problem mit ihrer Mutter lösen. Diese lebt in Grenoble und ist nach einem Sturz nicht mehr in der Lage, für sich alleine zu sorgen. Nathalie versucht für sie einen Platz in einer Pariser Seniorenresidenz zu finden, doch ihre Mutter will auf gar keinen Fall nach Paris umziehen.
Mit diesem Familienproblem im Gepäck soll Nathalie auch noch mit der neuen Situation klar kommen: Robert ist nun definitiv aus ihrem Haus im Montmartre-Viertel ausgezogen, sie kann glücklicherweise nach der Generalsanierung ihrer Wohnung wegen des Wasserschadens endlich wieder in ihren vier Wänden wohnen, aber leider ohne ihre grosse Liebe. Wie lässt sich das aushalten? Wird Robert in Deutschland bleiben? Pendelt er nun von Tübingen nach Paris? Könnte sich Natalie vorstellen in der Hölderlinstadt Tübingen zu leben? All diese Fragen werden wie immer nur teilweise beantwortet …
Rainer Moritz schreibt sehr sensibel, aber absolut unsentimental über eine Liebe, die trotz vieler Hindernisse nicht nur wachsen sondern auch bestehen kann. Man spürt bei der Lektüre, dass der Autor sich sehr gut in seiner zweiten Heimat Paris auskennt und führt somit den Leser mit Hilfe dieses entzückenden und sehr verliebten Paares an die schönsten Plätze, Parks und Strassen dieser Weltmetropole. Doch auch Tübingen und die schwäbische Mentalität der Menschen kommen in den sprachlich raffinierten Beschreibungen keineswegs zu kurz. „Madame Cottard und die Furcht vor Glück“ macht Lust auf Paris, auf eine Liebe, selbst wenn sie sich als noch so kompliziert darstellen mag und auf das Glück, das dadurch entstehen kann. Doch wie auch am Ende des ersten Romans kann man hier wieder eine Vorahnung spüren, dass die Geschichte zwischen der leidenschaftlich temperamentvollen Pariser Buchhändlerin Nathalie Cottard und dem eher etwas trockenen und rationalen deutschen Betriebswirt Robert Bernthaler noch nicht zu Ende ist. In diesem Sinne können wir uns auf eine Fortsetzung dieser deutsch-französischen „amour fou“ freuen…
Edgar Wallace – Zitat
„Ich habe nie für die Nachwelt geschrieben, sondern immer nur für morgen früh.“
Durchgelesen – „Acht Wochen verrückt“ v. Eva Lohmann
Sind wir nicht alle ein wenig verrückt? Oder wissen wir nur nicht, ob wir verrückt sind? Denn was heisst eigentlich normal sein? Ist normal wirklich das Gegenteil von verrückt? Es gäbe noch Tausende von ähnlichen Fragen, die sich jeder sicherlich schon einmal in seinem Leben gestellt hat. Doch was passiert, wenn man spürt, dass wirklich nicht mehr alles so ist, wie es eigentlich sein sollte. Wenn der Körper streikt, der Geist nur noch müde ist und man sich in einer Traurigkeit befindet, die nicht enden möchte. Diesen Zustand kennt die Autorin Eva Lohmann sehr gut, und hat uns mit ihrem Erstlingsroman „Acht Wochen verrückt“ ein grandioses Werk geschenkt, das nicht besser in die sogenannte tadellos funktionierende Welt passen könnte.
Eva Lohmann, geboren 1981, arbeitet als Innenarchitektin und Werbetexterin in Hamburg. Sie hatte nach Depressionen und Burn-Out selbst einen Zusammenbruch und wurde in eine psychosomatische Klinik eingewiesen. Dort hat sie sehr genau Tagebuch geführt, welches letztendlich als Grundlage für diesen ersten autobiographischen Roman diente. Eva Lohmann nimmt uns mit auf eine Reise in eine ganz andere Welt und stellt uns als alter Ego die Hauptfigur Mila ihres ersten Romans vor.
Mila, eine junge Frau Ende zwanzig, erfolgreich mit einem gut bezahlten Job inklusive Beförderung, einem netten Partner und vielen Freunden, wird an einem Donnerstag in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen. Seit Wochen, ja fast schon Monaten war sie zu nichts mehr in der Lage. Zuerst funktionierte Mila nur noch vor allem in ihrem stressigen Job, dann wurde ihr alles zuviel, selbst die Hausarbeit. Sie hatte keine Lust mehr auszugehen, sie lag am Liebsten nur noch im Bett und gab sich ihrer nicht mehr enden wollenden Traurigkeit hin. Sie hofft nun auf Hilfe und wundert sich, als sie in dieser Klinik ankommt, dass die Einrichtung zuerst mehr einem Hotel als – wie man im Jargon so schön sagt – der Klapse ähnelt.
Das „neue“ Leben in der Klinik am See beginnt langsam. Nachdem sie ihr Zimmer zugeteilt bekam und ihre magersüchtige Zimmergenossin Clara kennengelernt hat, versucht sie ein wenig zur Ruhe zu kommen. Sie entdeckt den Klinikgarten und beobachtet ihre anderen Mitpatienten. Zwei Tage später hat sie ihre erste Sitzung bei ihrem Therapeuten Dr. Hennings:
„Er hält mir die Hand hin und sieht nett aus. Gross, grauhaarig, mit einem kleinen Bart und um die vierzig. Auf eine bestimmte Weise sogar attraktiv, solange man seinem Kleidungsstil keine Beachtung schenkt. Mein zukünftiger Therapeut trägt praktische Ledersandalen, Trekkinghosen und – ein gebatiktes Shirt.“
Trotz seines „Kleidungsstils“ wird Dr. Hennings während der nächsten Wochen für Mila der wichtigste Ansprechpartner in dieser Klinik. Sie erkennt durch seine Hilfe, dass hinter ihrer Depression noch viel mehr steckt und ein Burn-Out selten allein auftritt. Es wird ihr bewusst, dass ihre körperlichen Schmerzen, die sie mit allerlei Tabletten zu bekämpfen versucht hatte, rein psychosomatische Schmerzen sind. Der regelmässige Tablettenkonsum, um immer zu funktionieren, hat sie bereits in eine Abhängigkeitsspirale befördert, die sie selbst nicht hätte durchbrechen können. Deshalb werden die Schmerzpillen konfisziert und Mila darf dafür nur noch ein Antidepressiva schlucken, das die ersten Tage ausser blöden und nicht ganz ungefährlichen Nebenwirkungen nichts zu bieten hatte. Nach zwei Tagen ist der „Drogentrip“ jedoch vorbei und der Körper hat sich endlich an die Substanz gewöhnt. Mila ist immer noch traurig, fängt aber trotzdem langsam an, ihre Seele und deren Bedürfnisse mit Dr. Hennings Hilfestellung zu entschlüsseln.
Trotz ihrer Depression fühlt sich Mila im Vergleich zu ihren Mitpatienten eher als total „normal“. Betrachtet man beispielsweise Katharina, die nach einem Jahr Trennung von ihrem Freund immer noch ständig weint, oder denkt man an Ron – verheiratet und zweifacher Familienvater -, der sich als Frau in einem Männerkörper fühlt und nicht weiss, wohin mit diesen Empfindungen. Doch am Meisten geschockt ist Mila von ihrer Zimmernachbarin Carla, als diese eines Tages ihren Koffer packt, da sie in ein richtiges Krankenhaus sprich Psychiatrie wechseln muss, denn ihr Gewicht ist auf lebensbedrohliche Weise gesunken, was nur noch mit Zwangsernährung verhindert werden kann.
Im Laufe dieser acht Wochen lernt Mila, die Ich-Erzählerin, nicht nur neue Freundschaften schliessen. Nein, sie erkennt, dass sich hinter ihrer Depression auch eine Tablettensucht versteckt und ein nicht unbedeutender Vaterkomplex begründet ist. Mila fängt in dieser Zeit an sich selbst und ihre Gefühle zu akzeptieren. Sie wird sensibler, aber auch mutiger, vor allem was ihre Familie und die Jobfrage betrifft…
„Acht Wochen verrückt“ ist ein geniales Buch. Es zeigt zum ersten Mal, vollkommen schonungslos, aber trotzdem sehr differenziert und feinfühlig, die Erfahrungen eines Menschen, der an seine psychischen Grenzen kommt und sich traut, Hilfe zu verlangen und anzunehmen. Mit viel Humor und Witz, aber auch mit grossen Respekt beschreibt Eva Lohmann die psychischen Probleme, die jeden Menschen in der heutigen Zeit ereilen können. Sie schafft es aufgrund ihrer eigenen Erfahrung und mit Hilfe ihres autobiographischen Romans tiefe Einblicke in die Welt der „Verrückten“ zu gewähren, die man als Beobachter von Aussen nie so beschreiben könnte. Besonders ihre Fähigkeit, die Menschen und ihre Stimmungen zu beobachten, sie aber nicht zu bewerten, geschweige denn ins Lächerliche zu ziehen, zeugt von einer grossen sprachlichen Begabung.
„Acht Wochen verrückt“ ist ein Roman, der nicht schockt, obwohl er ein Tabu bricht. Dieses Buch schiebt Klischees beiseite, konfrontiert den Leser mit der „echten“ Realität und fordert uns auf, das Thema – Psychische Erkrankungen – neu und mit mehr Offenheit zu betrachten. Eva Lohmann ist ein grosser – trotz seiner nur 190 Seiten – Erstlingsroman gelungen, der vielleicht nicht von „Verrückten“ in einer normalen, sondern eher von „Normalen“ in einer verrückten Welt erzählt. „Acht Wochen verrückt“ ist ein sehr zu empfehlendes Buch für alle Menschen, ob „Normal“ oder „Verrückt“, ab vor allem für diejenigen, die noch nicht wissen, wie man den sogenannten „Verrückten“ in der heutigen Gesellschaft begegnen sollte!
Joseph von Eichendorff – Zitat
„Und das sind die rechten Leser, die mit und über dem Buche dichten. Denn kein Dichter gibt einen fertigen Himmel; er stellt nur die Himmelsleiter auf von der schönen Erde. Wer, zu träge und unlustig, nicht den Mut verspürt, die goldenen, losen Sprossen zu besteigen, dem bleibt der geheimnisvolle Buchstab ewig tot, und er täte besser, zu graben oder zu pflügen, als so mit unnützem Lesen müßig zu gehn.“
Arthur Rimbaud – Gedicht
Der März
Sonne lag krank im Bett.
Sitzt nun am Ofen.
Liest, was gewesen ist.
Liest Katastrophen.
Springflut und Havarie,
Sturm und Lawinen, –
gibt es denn niemals Ruh
drunten bei ihnen.
Schaut den Kalender an.
Steht drauf: “ Es werde!“
Greift nach dem Opernglas.
Blickt auf die Erde.
Schnee vom vergangenen Jahr
blieb nicht der gleiche.
Liegt wie ein Bettbezug
klein auf der Bleiche.
Winter macht Inventur.
Will sich verändern.
Schrieb auf ein Angebot
aus anderen Ländern.
Mustert im Fortgehn noch
Weiden und Erlen.
Kätzchen blühn silbergrau.
Schimmern wie Perlen.
In Baum und Krume regt
sich’s allenthalben.
Radio meldet schon
Störche und Schwalben.
Schneeglöckchen ahnen nun,
was sie bedeuten.
Wenn Du die Augen schließt,
hörst Du sie läuten.