Durchgelesen – „Madame ist leider verschieden“ v. Claude Izner

Sie lieben Bücher, Sie lieben Paris und Sie schätzen den besonderen Kriminalroman!? Dann könnte dieses Buch eine interessante Entdeckung für Sie sein. „Madame ist leider verschieden“ ist, wie auch bereits der Untertitel besagt: „Ein Paris-Krimi“. Erwarten Sie jedoch keinen klassischen Thriller, sondern seien Sie offen für einen charmanten, geistvollen und subtil spannenden, historischen Roman, der nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen ist.  Das Original wurde bereits 2003 unter dem Titel „Mystère rue des Saints-Pères“ veröffentlicht und war in Frankreich ein grosser Erfolg.

Hinter Claude Izner – ein Pseudonym –  verstecken sich zwei buchbegeisterte Schwestern: Liliane Korb und Laurence Lefèvre. Claude ist Lilianes zweiter Vorname und Izner ist der Mädchenname ihrer Mutter, somit war die Namensschöpfung Claude Izner perfekt. Bereits erfolgreich durch viele Kinderbuchromane, habe die beiden Schwestern nicht nur als Schriftstellerinnen, sondern auch in der Filmbranche gearbeitet. Da sie beide langjährige Bouquinistinnen mit einem eigenen Bücherstand am Seine-Ufer sind, war für sie klar, dass ihre gemeinsam verfassten Kriminalromane um den sehr sympathischen Buchhändler Victor Legris in Paris spielen würden. Die Bücher sind seit einigen Jahren in Frankreich, England und Italien sehr beliebt und wurden bereits mehrfach ausgezeichnet.

Wie in der Biographie von Claude Izner kurz erwähnt, ist die Hauptperson in diesem Werk der Buchhändler Victor Legris. Der Kriminalroman spielt in Paris zur Zeit der Weltausstellung im Jahr 1889. Das ist das Paris des technischen Wandels: der tonnenschwere Eiffelturm, den man nicht nur zu Fuss, sondern mit einem Aufzug erklimmen kann, die Trambahn, ja sogar das Telefon. Eine Weltausstellung ist neben diesen neuen Entwicklungen vor allem auch ein Anziehungspunkt für die unterschiedlichsten Kulturen. Menschenmassen strömen zu den Ausstellungsständen, und all dies bietet ganz nebenbei einen besonderen Schauplatz für geheimnisvolle Umstände.

Victor Legris verlässt sein Geschäft (Elzévir – Buchhandlung und Antiquariat), welches in der Rue des Saints-Pères liegt – eine kleine Quer-Strasse, die  den Seine-Quai von Nord nach Süd mit dem berühmten Boulevard Saint-Germain verbindet. Er macht sich auf den Weg in Richtung Eiffelturm. Dieser war übrigens damals ein eher sehr umstrittenes Bauwerk, das nicht nur Befürworter, sondern auch sehr viele Gegner hatte. Auf der ersten Plattform ist Victor mit seinem Kompagnon, und man könnte auch sagen Ziehvater, dem Japaner Kenji Mori verabredet, um sich in das Goldene Buch eintragen zu können, was wiederum nur wenigen Auserwählten zur Ehre wurde. Zu diesen gehörte unter anderen auch Madame Eugénie Patinot, die in Begleitung von drei kleinen Kindern war. Victor Legris beobachtet die wilde Kinderschar und folgende dramatische Szene:

„Jemand setzte sich neben sie, stand wieder auf, stolperte und stützte sich schwer auf ihre Schulter, ohne sich zu entschuldigen. Eugénie stiess einen kleinen Schrei aus – irgendetwas hatte sie in den Nacken gestochen. Eine Biene? Ganz sicher war es eine Biene! Voller Abscheu schlug sie mit den Armen um sich, sie sprang auf und verlor das Gleichgewicht, ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie schaffte es gerade noch zurück auf die Bank. Langsam wurden ihre Glieder taub, sie bekam Atemnot. Sie liess sich gegen die Wand sinken. Schlagen. Angst und Erschöpfung vergessen …“

Madame Eugénie Patinot ist tot. Die Journalisten stürzen sich auf dieses Ereignis, die Presse überschlägt sich förmlich, so dass sich Victor Legris immer mehr die Frage stellt, ob es sich vielleicht nicht nur um einen mysteriösen Unfall, sondern eher um Mord handeln könnte.

Victor taucht immer mehr ein in die Welt der Journalisten, Maler und Karikaturisten. Er lernt nicht nur einen schwerreichen Kunstsammler kennen, sondern entdeckt auch seine Zuneigung zu einer aussergewöhnlichen russischen Frau namens Tasha, welche als Zeichnerin bei der Zeitung Passe-partout arbeitet und ihn immer mehr in irgendwelche Verstrickungen hineinzieht. Nachdem auch Madame Patinot nicht die einzige Tote bleibt, und es immer mehr nach einem Serienmord aussieht, spitzt sich die Lage soweit zu, dass so gar sein Freund und Kompagnon Kenji zu dem Kreis der Verdächtigen zählt. Jetzt ist es für Victor an der Zeit sich konkret mit dem Fall, besser mit den Fällen zu beschäftigen und somit beginnt er auf eigene Faust – trotz eines sehr engagierten Kommissars – zu ermitteln ….

„Madame ist leider verschieden“ ist der ideale Krimi für alle Parisfreunde und solche, die es noch werden wollen. Der Leser entdeckt bei der Lektüre das schillernde Paris während der Weltausstellung, das sich übrigens bis heute kaum verändert hat, wenn man von Gasbeleuchtung und den Pferdewagen absieht. Der Leser fühlt sich, als würde er – während er die Wörter mit den Augen aufsaugt – die Seine entlang laufen, den Eiffelturm bestaunen und die Pariser Luft einatmen, dank der überaus kompetenten „Stadtführung“ von Claude Izner. Aber darüber hinaus entdecken wir zusätzlich noch so einige pikante Details über die Pariser Gesellschaft (man denke zum Beispiel an die sogenannten Halbweltdamen). Besonders interessant sind auch die literarisch hervorragend integrierten Anekdoten aus dem Maler- und Künstlermilieu, bei welchen wir lernen können, dass van Gogh zu dieser Zeit noch nicht berühmt war und seine Werke eher unerkannt bei Seite gelegt wurden.

Claude Izner beschreibt in „Madame ist leider verschieden“ sensibel, malerisch und trotzdem mit einem scharfen Blick für Feinheiten das unvergessliche Paris des 19. Jahrhunderts. Wir werden Zeuge mysteriöser, aber doch sehr stilvoller Verbrechen, wir entdecken mit Hilfe eines äusserst kompetenten Buchhändlers und Antiquars, wie Victor Legris es ist, die interessante Welt der Literatur und der schönen Bücher. Und wir spüren bis zur letzten Seite, dass – wie Ernest Hemingway es auch sagte –  „Paris ein Fest fürs Leben“ ist!

Robert Walser – Gedicht

Der Schnee

Der Schnee fällt nicht hinauf
sondern nimmt seinen Lauf
hinab und bleibt hier liegen,
noch nie ist er gestiegen.

Er ist in jeder Weise
in seinem Wesen leise,
von Lautheit nicht die kleinste Spur.
Glichest doch du ihm nur.

Das Ruhen und das Warten
sind seiner üb’raus zarten
Eigenheit eigen,
er lebt im Sichhinunterneigen.

Nie kehrt er je dorthin zurück,
von wo er niederfiel,
er geht nicht, hat kein Ziel,
das Stillsein ist sein Glück.

Durchgelesen – „Das Zimmermädchen“ v. Markus Orths

„Das Zimmermädchen“ ist die ideale Lektüre für eine schlaflose Nacht in einem Hotelbett. Vielleicht werden Sie dann gar nicht mehr schlafen, denn spätestens nach den ersten dreissig Seiten verspüren Sie eine gewisse Unruhe! Markus Orths präsentiert uns einen verrückten Roman, oder sollte man besser sagen – eine groteske Novelle bei knapp 140 Seiten- , der den Leser fesselt und berauscht.

Markus Orths, geboren 1969 in Viersen, studierte Philosophie, Romanistik und Englisch. Seine Erzählungen und Romane wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderpreis des Marburger Literaturpreises (2003), dem Heinrich-Heine-Stipendium (2006), dem Walter-Scott-Preis (2006) und dem Telekom-Austria-Preis in Klagenfurt (2008). Er lebt und schreibt in Karlsruhe.

„Das Zimmermädchen“ ist das psychosoziale Porträt einer junger Frau, die – nach einem längeren Aufenthalt in der Psychiatrie -, versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Hauptprotagonistin Lynn Zapatek, eigentlich heisst sie mit Vornamen Linda Maria, ist 1975 geboren, einsfünfundsechzig gross, hat braune Haare und grüne Augen. Sie wurde von ihrem Freund Heinz verlassen und kehrt nun nach sechsmonatiger stationärer psychotherapeutischer Behandlung wieder zurück in ihre Wohnung.

Lynn ist eine rastlose Frau, sie muss ständig etwas tun. Ruhe ist für sie unerträglich, trotz des Klinikaufenthaltes spürt sie, dass sich nichts bei ihr verändert hat. Sie fühlte sich bereits als Patientin unverstanden, sie sollte an sich arbeiten, sie sollte sich ihrer Vergangenheit stellen und Widerstand leisten. Jetzt ist sie zu Hause, hat keine Arbeit mehr und kein Geld. Ihre Mutter zahlt bereits die Miete, deshalb will sie nicht mehr von ihr verlangen. Sie trifft sich mit Heinz, er macht ihr klar, dass es definitiv vorbei ist. Doch glücklicherweise gibt es bald eine neue berufliche Perspektive für sie:

„Ihr Leben läuft wie am Schnürchen. Lynn steht auf, am Morgen, putzt sich, dann die Hotelzimmer, sie hat den Job bekommen, Heinz hat ihn ihr besorgt, und der Therapeut warf ein Wort in den Raum, das alles enthielt: Konfrontationstherapie. Gutachten, Gespräche, Vertrag, Probezeit, Kündigung schon beim geringsten Vergehen. Vergehen, denkt Lynn. Die Zeit begeht jede Menge Vergehen. Jeder Tag ist ein Vergehen. Und Lynn tut die Dinge gleichmässig.“

Lynn putzt, was das Zeug hält. Sie ist mehr als gründlich, sie findet Dreck, wo keiner ist. Entdeckt noch Staub, wo bereits gesaugt wurde. Das Putzen wird obsessiv, man könnte fast schon von einem pathologischen Putz-Zwang sprechen. Lynn bleibt immer länger, macht Überstunden, obwohl diese nicht bezahlt werden. Aber die Abende und Nächte zu Hause sind für sie schwierig. Sie fühlt sich nur in „ihren“ Hotelzimmern wohl. Mit Übereifer stürzt sie sich immer mehr in die Arbeit und entwickelt dazu noch eine Neugierde für die privaten Dinge der Gäste, die sie im Zimmer liegen lassen. Schnüffelt herum, schaut in die Kulturbeutel, liest Notizen und riecht an der Kleidung. Als sie jedoch beim Probieren einer Pyjamajacke beinahe erwischt wird und sich gerade noch rechtzeitig unter dem Bett verstecken kann, bevor der Hotelgast sein Zimmer betritt, entdeckt sie etwas ganz neues! Eine neue Perspektive, aus der sie alles beobachten kann, aber selbst unerkannt bleibt. Sie spürt, dass diese spontane Versteckaktion, welche eine ganze Nacht gedauert hat, nicht die letzte bleiben würde und beschliesst danach, sich jeden Dienstag unter ein Hotelbett zu legen:

„Siebter Dienstag, Zimmer 304, Lynn liegt unterm Bett eines Mannes. Der ist im Bad. Da klopft es an der Tür. Das Klopfen wird lauter. Lynn sieht Beine, die aus dem Bad kommen, die nackten Füsse hinterlassen Wasserflecken auf dem Teppich, der Mann öffnet die Tür, sagt, na, komm rein, er sagt es in einem rauen Tonfall, als wolle er besonders dreckig klingen, schliesst die Tür ab, Lynn hört eine Frauenstimme. Unterm Bett ist es nicht kalt. Lynn legt die Hände unter die Hüfte, wölbt ihr Geschlecht ein wenig, hin zur Unterseite des Betts, sucht bequeme Stellung, hält den Atem an.“

Dieser Abend wird für Lynn einiges verändern. Sie bleibt nicht die ganze Nacht unter dem Bett, sondern kriecht hervor, nachdem die Frau gegangen war und der Mann unter der Dusche stand. Sie schreibt sich noch die Telefonnummer ab von der Visitenkarte der Frau, welche Chiara heisst. Ab diesem Erlebnis dreht sich alles in ihrem Kopf. Sie legt sich nach wie vor jeden Dienstag unter ein Bett, lebt ihren Putzfimmel aus, reinigt sogar unbenutzte Zimmer und sie überlegt intensiv, ob sie Chiara anrufen soll. Sie tut es ….

„Das Zimmermädchen“ ist  gleichzeitig ein spannungsreiches und amüsantes Lesevergnügen, auch wenn das eigentliche Thema dieser Geschichte – die unerfüllte Sehnsucht nach einem anderen Leben – eher deprimierend sein könnte. Doch Markus Orths ist wie ein Zauberer. Er enthüllt in dieser kurzen Prosa den eigenwilligen Charakter dieser jungen Frau mit seiner Sprachkunst, die aus äusserst knappen und schnellen Sätzen besteht, welche die Obsessivität des Putzen brillant darstellt. Sensibel, aber trotzdem direkt, zeichnet er ein sehr subtiles Porträt dieser jungen Frau, die versucht, ihren Konflikt zwischen Chaos und Ordnung im Leben zu lösen. Ob das Putzen dabei hilft, ist sicher fraglich. Man könnte jedoch keinesfalls eine bessere Metapher für die Leere des Lebens finden!

Das Zimmermädchen“ ist ein verrücktes kleines Buch. Es fasziniert, macht neugierig, zieht in den Bann und wird den Leser auch nach der Lektüre gedanklich weiter begleiten, spätestens dann, wenn er bei seiner nächsten Reise auf seinem Hotelbett liegt. Lesen Sie dieses Buch: es ist packend, komisch, lustvoll, aber auch sehr tiefsinnig!

Henrik Ibsen – Gedicht

Baupläne

Ich weiß noch wie heut, ob auch Jahr um Jahr schwand,
Den Abend, da mein Erstling im Blatt gedruckt stand.
Da saß ich auf meiner Kammer, den Knaster in Glut,
Und paffte und träumte in seligem Hoffemut.

»Ein Wolkenschloß bau‘ ich, voll Sonnenschein,
Ein Schloß mit zwei Flügeln, von Himmelssturm umweht;
In dem großen, da hause ein unsterblicher Poet,
In dem kleinen ein Mägdelein, zierlich und fein!«

Wie schien mir mein Bau so harmonisch gedacht!
Und doch hat sich alles so anders gemacht!
Da der Meister ward vernünftig, ward blitztoll der Stil:
Der Hauptbau ward zu klein, der Anbau verfiel.

Durchgelesen – „Eine Frage von Glück oder Zufall“ v. Dominique Barbéris

„Eine Frage von Glück oder Zufall“ führt den Leser in die französische Provinz, in eine Atmosphäre, die der Meister aller französischer Filme Claude Chabrol, wäre er Schriftsteller gewesen, nicht besser hätte beschreiben bzw. filmen können. Das Buch ist ein Kriminalroman: es gibt einen Mord, es gibt bereits einen festgenommenen Verdächtigen, aber es ist noch nicht wirklich klar, wer nun der wahre Täter ist!

Dominique Barbéris ist mit diesem Roman ein kleines stimmungsvolles Wunderwerk gelungen, wie es nur flämische Maler in ihren Bildern festhalten können. Dominique Barbéris wurde als Tochter eines Diplomaten in Kamerun geboren und hat ihre Kindheit in Brüssel und Nantes verbracht. Sie studierte in Sèvres und an der Sorbonne. Nach dem sie in der Kommunikationsabteilung einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet hat, lehrt sie heute an der Universität in Paris. 1996 erschien ihr erster Roman. „Eine Frage von Glück oder Zufall“ wurde 2007 in Frankreich veröffentlicht und 2008 ausgezeichnet mit dem sehr renommierten Literaturpreis „Prix des Deux Magots“. Dieser Roman, der im Original den Titel „Quelque chose à cacher“  trägt (welcher die Stimmung noch mehr unterstreicht, als der deutsche Titel), ist das erste Buch in deutscher Übersetzung von Dominique Barbéris.

Der Roman spielt, wie schon angedeutet, auf dem Land, genauer in einer kleinen Stadt mit dem Namen N. an der Loire.  Ein Ort, der durch diesen bekannten Fluss, eine faszinierende Kulisse für einen Mord und seine mysteriösen Umstände bietet. Die Geschichte wird erzählt in der indirekten Rede und aus der Sicht eines Mannes, der äusserst merkwürdig und verdächtig erscheint. Es handelt sich hierbei um den etwas introvertierten Sohn von Doktor Lagarde (Arzt des Ortes). Er ist Kunstmaler – studierte Malerei in Paris -, arbeitet aber inzwischen als Angestellter im kleinen Kunstmuseum der Stadt N.

Eines Tages trifft der Erzähler in seinem Museum nach vielen Jahren Marie-Hélène, die er sehr bewundert hat, wieder. Er ist verunsichert, überrascht und durcheinander. Es kommen viele Erinnerungen hoch. Er kannte sie bereits als Kind. Er öffnete ihr die Tür bei ihrem Vater, als sie verletzt die Praxis von Dr. Lagarde aufsuchte. Doch jetzt ist sie eine erwachsene Frau:

„Ich nahm an, dass sie auf Geschäftsreise war, eine tatkräftige Frau, eine Rechtsanwältin, die Personalchefin eines Pariser Unternehmens, das habe ich gedacht, weil sie dieses Schneiderkostüm trug (ich erinnerte mich, dass sie ein ziemlich intelligentes Mädchen war). Ich sagte mir, dass sie zu Mittag gegessen haben musste, dass sie tatsächlich in dieses Nest zurückgekehrt war, dass sie bis zur Abfahrt ihres Zuges noch etwas Zeit hatte. Genau das habe ich mir gesagt, ich erinnere mich: Eine Frau, die noch etwas Zeit hat.“

Doch Marie-Hélène hat nicht mehr viel Zeit, denn sie wird in der Nacht auf Allerheiligen in ihrem Haus ermordet. Sie wurde aus nächster Nähe erschossen. Und genau zu diesem Zeitpunkt spazierte der Erzähler bei strömenden Regen entlang der Loire zu dem ansonsten unbewohnten Haus von Marie-Hélène, der Villa La Boulaye, das direkt an den Friedhof grenzt.

Massonneau, der ortsansässige Kommissar, kümmert sich um den Fall. Der Erzähler verfolgt äusserst minutiös die Ermittlungen, und auch Massonneau berichtet sehr detailliert seine Überlegungen und Erkenntnisse. Marie-Hélène wollte das Haus ihrer Kindheit verkaufen, sie traf sich bereits mit einem Makler. Doch Marie-Hélène traf sich auch noch mit einem Ingenieur aus dem benachbarten Kernkraftwerk im Restaurant des Ortes, was die Bedienung dort bestätigte. Alles sehr geheimnisvoll und undurchsichtig. Denn wer ist jetzt nun der wirkliche Mörder? Der Mann, der als Verdächtiger festgenommen wurde und in der ersten Nacht der Untersuchungshaft versuchte, sich zu erhängen und nun im Koma liegt, oder vielleicht doch der Erzähler?

„Eine Frage von Glück oder Zufall“ ist ein subtiler Roman, der nicht nur Chabrol wiedererkennen lässt, sondern auch eine grosse Portion Simenon mitliefert. Ein Buch mit unglaublicher Spannung, obwohl man ja bereits meint, den Mörder zu kennen. Dominique Barbéris lässt uns mit ihrer wunderbar musikalischen und geheimnisvollen Sprache eintauchen in die ländliche Atmosphäre an der Loire. Mit traumhaften Beschreibungen, die jedoch sehr prägnant und keineswegs ausschweifend sind, atmen wir als Leser die Luft des Nebels und den Geruch des Regens ein und sehen die Landschaft vor unserem inneren Auge entstehen. Wir spüren die Poesie der Loire und ihrer Umgebung. Wir sehen durch Fenster, aber gleichzeitig sehen wir nichts. Und deshalb bleiben viele Fragen offen, wie die „Eine Frage von Glück oder Zufall“! Was für ein schönes Buch, das jeden Freund des besonderen Kriminalromans begeistern wird und einem trotz der gerade mal 178 Seiten zwei oder drei unvergessliche und sehr nachhaltige Stunden schenkt.