Ludwig Uhland – Gedicht

Der Sommerfaden

Da fliegt, als wir im Felde gehen,
Ein Sommerfaden übers Land,
Ein leicht und licht Gespinst der Feen,
Und knüpft von mir zu ihr ein Band.
Ich nehm‘ ihn für ein günstig Zeichen,
Ein Zeichen, wie die Lieb‘ es braucht.
O Hoffnungen der Hoffnungsreichen,
Aus Duft gewebt, von Luft zerhaucht!

Durchgelesen – „Ruhestörung“ v. Richard Yates

Richard Yates zählt zu den grössten und wichtigsten amerikanischen Schriftstellern und Essayisten. Geboren 1926 in Yonkers, New York und gestorben 1992 in Birmingham, Alabama lebte er bis zu seinem Tode in Kalifornien. Seine Werke haben zu seinen Lebzeiten nie die Anerkennung erhalten, die sie verdient hätten. Er arbeitete als Journalist, Lehrer und begann seine Karriere als Romancier 1961 mit dem Werk „Zeiten des Aufruhrs“, welches erst kürzlich von Sam Mendes verfilmt wurde. Ende der sechziger Jahre waren Yates und sein umfassendes Werk immer mehr in Vergessenheit geraten. Inzwischen wurde Richard Yates wieder neu entdeckt. Seine Kurzgeschichten zählen zu den besten des 20. Jahrhunderts. Heute vergleicht man ihn mit Autoren wie J.D. Salinger und John Updike. Sein Leben wurde geprägt von Höhen und Tiefen, er war ein psychisch labiler Trinker und gleichzeitig ein echter Realist. Er zog das Unglück an, versuchte aber ebenso diesem zu entfliehen. Und das Schreiben war sicherlich eines der sinnvollsten Fluchtmittel, die er finden konnte.

„Ruhestörung“ gehört zu seinen wichtigsten Romanen und erschien bereits 1975. Jetzt liegt dieser intensive und erschütternde Roman zum ersten Mal in der bemerkenswerten deutschen Übersetzung von Anette Grube vor. Das Buch erzählt eine dramatische Geschichte, die den Leser in die düsteren und erbärmlichen Winkel der menschlichen Seele blicken lässt.

Der Hauptprotagonist  – John Wilder –  ist ein beruflich erfolgreicher New Yorker Anzeigenverkäufer. Er hat eine liebende Ehefrau – Janice – und einen zehnjährigen Sohn. Doch eines Tages im Spätsommer ändert sich das bis jetzt so glücklich scheinende Leben. Inzwischen wieder von seiner Dienstreise nach Chicago zurückgekehrt, ruft John seine Frau aus einer Bar an. Er klingt total verstört, macht einen betrunken Eindruck und ist vollkommen aufgelöst:

„«Verdammt noch mal, hörst du mir nicht zu? Ich habe gerade gesagt, dass ich nicht nach Hause kommen kann.» Sie beugte sich, auf der Kante des Doppelbetts sitzend, vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und hielt den Hörer mit beiden Händen fest. «Warum nicht?» fragte sie.“

John ist tatsächlich betrunken. Wenn Probleme auftauchen, flüchtet er sich immer öfter in den Alkohol. Er gesteht Janice, sie mit einer anderen Frau betrogen zu haben. Er ist verzweifelt, weil er kein Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn gekauft hat. Kurzum, er ist nervlich am Ende. Janice ruft voller Sorge seinen besten Freund Paul an, der Anwalt ist. Sie erklärt ihm die dramatische Situation, erzählt ihm von John’s Ängsten und ihren Ängsten, denn John hat gedroht, sie und ihren Sohn umzubringen.

Paul ist raffiniert, geht in die Bar, wo sich er und John immer treffen. Findet ihn und versucht mit ihm ganz zufällig ins Gespräch zu kommen. Doch John ist wirklich vollkommen fertig, hat mehrere Tage nicht geschlafen, ist total betrunken und kurz vor dem Zusammenbruch. Paul schafft es, John in ein Krankenhaus einliefern zu lassen, in dem er aber randaliert. Er wird sofort mit einem Krankenwagen ins Bellevue – die Psychiatrie – gebracht. Fünf Tage muss John an diesem Ort verbringen, denn es ist gerade das Thanksgiving – Wochenende und keiner der Ärzte ist im Einsatz. Geschlossene Abteilung, Alkoholentzug, Psychopharmaka, das ganz Programm ist ein wahres Trauma für John. Nach seiner Entlassung kehrt er erstmal zu seiner Frau zurück und arbeitet wieder erfolgreich weiter. Es folgen Psychotherapien und Treffen bei den Anonymen Alkoholikern. Man könnte glauben, dass er ernsthaft versucht, mit dem Trinken aufzuhören, doch die Flasche bleibt nach wie vor sein bester Freund. Er lügt alle an, seine Familie, seine Freunde und auch die Therapeuten und Ärzte, wie Dr. Blomberg:

„«Waren Sie bei den Treffen?» «Bei zwei. Das erste war grässlich…» Er versuchte mehrmals und ohne offenkundigen Erfolg zu erklären, warum. …. «Und Sie haben nicht getrunken?» «Nein.» Das war gelogen – auch nach dem zweiten, besseren Treffen hatte er in der Küche heimlich drei warme Bourbons getrunken, bevor er ins Bett ging – , aber es schien sinnvoll, in Anbetracht von Blombergs Honorar.“

Doch diese schrecklichen Tage in Bellevue lassen ihn wieder an einen Traum erinnern und somit bastelt er an einer neuen Idee, die ihn motivieren könnte, dem Trinken abzuschwören. Er will seine schlimmen traumatischen Erfahrungen und Erlebnisse in der Psychiatrie verfilmen und geht deshalb nach Hollywood. Doch da läuft leider alles gar nicht nach Plan und der Alkohol wird bald wieder sein wichtigstes „Nahrungs- und Beruhigungsmittel“….

„Ruhestörung“ ist ein aufwühlendes und provozierendes Buch. Es beschreibt mit unglaublicher Präzision die Selbstzerstörung eines eigentlich erfolgreichen, aber nicht erklärbar unglücklichen Mannes. Yates öffnet dem Leser kompromisslos die Augen und konfrontiert ihn unmissverständlich mit den Problemen – Sucht und Abhängigkeit – und den daraus entstehenden Konsequenzen. Das Buch ist nicht nur ein simpler Psychiatrieroman, sondern auch ein komplexes menschliches Psychogramm, das den Leser nicht so schnell loslässt. Richard Yates beschreibt mit seiner klaren und teilweise bedrohlich messerscharfen Sprache die Charaktere dieses Romans so authentisch wie die Fälle in einer psychologischen Studie über Alkoholprobleme. Vor allem die atemberaubenden Dialoge unterstützen die ungeschönte Realität und Dramatik des Romans.

Ruhestörung“ ist ein Werk mit einem brisanten und nicht gesellschaftsfähigen Thema, das nie aktueller sein könnte. Als Leser sollten Sie jedoch beachten, dass dies keine leichte Problem-Lektüre für entspannte Stunden ist. Im Gegenteil es handelt sich hier um ein sehr literarisches und sprachlich äusserst differenziertes Buch, das den Leser unglaublich stark fordert und nachhaltig wachrüttelt.

Durchgelesen – „Schuld“ v. Emmanuel Bove

Emmanuel Bove, mit bürgerlichem Namen Emmanuel Bobovnikoff, wurde am 20. April 1898 in Paris geboren. Der Vater, ein jüdisch-russischer Lebenskünstler ohne festen Job und die Mutter, ein luxemburgisches Dienstmädchen, trennten sich ab 1910, so dass Emmanuel sowohl bei seinem Vater und als auch bei seiner Mutter lebte. Er besuchte verschiedene Schulen in Genf und Paris. 1915 starb sein Vater. Bove arbeitete als Hilfsarbeiter, Kellner, Taxifahrer und führte ein sehr ärmliches Leben. Während des Militärdienstes lernte er seine späterere Ehefrau, die Lehrerin Suzanne Vallois, kennen. Sie heirateten 1921 und zogen aus finanziellen Gründen nach Österreich, in die Nähe von Wien. 1922 begann er seinen ersten Roman „Mes amis“ („Meine Freunde“) und fing an Groschenromane  zu schreiben – allerdings unter Pseudonym -, um Geld zu verdienen und um schliesslich auch wieder nach Paris zurückkehren zu können. Während er seinen Roman „Mes amis“ endlich beendete, trennte Bove sich von seiner ersten Frau.

Emmanuel Bove lernte die Schriftstellerin Colette kennen, die ihm half seinen Roman in ihrem Verlag zu veröffentlichen. Auch eine Begegnung mit Rilke, welcher von Bove’s ersten Roman total begeistert war, beflügelte ihn so sehr, dass er mehr und mehr Erzählungen und Romane schreiben konnten. Im November 1928 wurde ihm der damals mit 50 000 Francs sehr hochdotierte Prix Figuière verliehen. Sein Leben entwickelte sich rasant weiter, er heiratete ein zweites Mal, eine reiche Bankierstochter, lebte mit ihr in England, musste jedoch wegen ihres Bankrotts wieder nach Frankreich zurückkehren. 1942 floh er wegen Verfolgung nach Algerien, wo er u.a. André Gide und Saint-Exupéry begegnetete. Bove erkrankte schwer an Malaria, kehrte im Oktober 1944 wieder nach Frankreich zurück. Er starb am 13. Juli 1945 in Paris.

Emmanuel Bove’s Werk wurde in den 80ziger Jahren in Deutschland durch die Übersetzungen von Peter Handke bekannt. Die Erzählungen und Romane zeigen vor allem die Schattenseiten des französischen Bürgertums und die Probleme der Gesellschaft.

„Schuld“ wurde 1932 unter dem Originaltitel „Un Raskolnikoff“ veröffentlicht. Inzwischen ist dieses Buch in Frankreich restlos vergriffen und nur noch im besonders ausgewählten antiquarischen Buchhandel erhältlich. Umso mehr kann man sich über diese – erstmals auf deutsch von Thomas Laux hervorragend übersetzte – Wiederentdeckung freuen.

Dieser schmale Roman (gerade mal 90 Seiten) könnte eine kleine und leicht veränderte Form von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ sein. Allein der Originaltitel „Un Raskolnikoff“ lässt ganz klare Verbindungen zu dem grossen philosophischen Roman von Dostojewski erkennen. Nur hat Bove in seinem Mini-Roman für das Thema Sühne keinen Platz, da die Schuld keine wirkliche Schuld ist.

Der Roman „Schuld“ spielt im winterlichen Paris und erzählt die Geschichte des armseeligen, unglücklichen und arbeitslosen Pierre Changarnier. Er will unbedingt mit seiner Freundin Violette das Glück finden. Sie streunen durch das kalte verschneite Paris, obwohl er krank ist und Fieber hat. Er ist so schwach, er friert und sie suchen sich ein Café, um sich aufzuwärmen. Changarnier versucht Violette zu erklären, dass sich etwas ändern muss in seinem Leben:

„«Violette», sagte er, «eines ist sicher, dieses Leben kann so nicht weitergehen. Jeder Mensch auf der Welt hat Geld, Liebe, Vergnügen, bloss wir nicht. Jeder Mensch kommt, geht, lebt, bloss wir nicht.» Changarnier schlug mit der Faust auf den Tisch. «So kann das nicht weitergehen.» Violette sah ihn erschrocken an. Protest war ihrer einfachen Seele fremd.“

Sie diskutieren, er überlegt, was er machen könnte. Sich bei der Fremdenlegion bewerben oder als Mann am Projektor in einem Kino arbeiten. Er träumt von festem Gehalt, oder doch lieber nicht arbeiten, da vielleicht der Spass daran fehlen könnte. Changarnier wird aufbrausend, stürmisch und wirft ein Glas zu Boden. Der Wirt verlangt, dass er den Schaden begleicht. Doch Changarnier will nicht zahlen, denn er braucht das Geld fürs Kino. Der Wirt ist wütend, jedoch nur kurz, denn Changarnier verblüfft ihn mit diesem Satz:

„«Komm schon, reg Dich ab, nimm deinen Hut und geh mit uns dem Glück entgegen.»“

Changarnier und Violette verlassen das Café, werden jedoch von einem kleinen Mann verfolgt, der sie nicht in Ruhe lässt, bis er ihnen seine Geschichte erzählt. Die Geschichte eines Mordes und eines Mörders, der nie bestraft wurde. Changarnier spürt währenddessen Erinnerungen aufsteigen, die auch ihn zum Mörder werden lassen. Oder sind es nur Halluzinationen oder Phantasien? Er wird festgenommen und befindet sich plötzlich auf dem Kommissariat. Aber ist er wirklich ein Mörder?

Und jetzt ist der Leser gefordert! Wer hat Schuld? Kann ein Mensch Schuld haben, auch wenn ihn keine Schuld trifft. Hat ein Mörder Schuld, auch wenn die Tat nie bestraft wurde? Ist Reue vielleicht auch eine andere Form von Schuldanerkenntnis? Der Leser befindet sich in den Fängen zwischen Schuld und Sühne und versucht daraus möglichst schnell zu entkommen, in dem er sich auf diesen besonderen Roman einlässt. Bove zeigt uns die menschliche Tragödie mit seinen meisterhaft knapp, aber trotzdem intensiv porträtierten Hauptfiguren. Bove bedient sich einer glasklaren Sprache, die Moral, Mitleid und Erlösung in atemberaubender Weise darstellt. „Schuld“ ist ein subtil dramatischer, äusserst spannender und literarisch höchst anpruchsvoller Roman! Seien Sie neugierig auf dieses kleine feine Buch, das den deutschprachigen Leser mit einer grossen und bewegenden Neuentdeckung beschenkt!

Bertolt Brecht – Gedicht

Vom Schwimmen in Seen und Flüssen

Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der großen Bäume sausen,
Muß man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.

Der Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt,
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen,
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.

Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn kühle Blasen quellen,
Weiß man: Ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.

Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint.
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen,
Fühl ich, daß Sonne überm Tümpel scheint.

Wenn man am Abend von dem langen Liegen
Sehr faul wird, so daß alle Glieder beißen,
Muß man das alles, ohne Rücksicht, klatschend
In blaue Flüsse schmeißen, die sehr reißen.

Am besten ist’s, man hält’s bis Abend aus.
Weil dann der bleiche Haifischhimmel kommt
Bös und gefräßig über Fluß und Sträuchern.
Und alle Dinge sind, wie’s ihnen frommt.

Natürlich muß man auf dem Rücken liegen
So wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen.
Man muß nicht schwimmen, nein, nur so tun, als
Gehöre man einfach zu Schottermassen.

Man soll den Himmel anschaun und so tun,
Als ob einen ein Weib trägt, und es stimmt.
Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut,
Wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.

Durchgeblättert – „Die schönsten Buchhandlungen Europas“ v. Rainer Moritz

Reisen in ferne Länder oder Städte ist heutzutage etwas ganz Alltägliches! Eine Reise zu den schönsten Buchhandlungen Europas wäre sicherlich ein eher ungewöhnliches Ziel. Doch so bald Sie diesen faszinierenden Bildband in den Händen halten werden, ist diese aussergewöhnliche Entdeckungsreise zum Greifen nahe.

Genau auf diese besondere Reiseroute hat sich – unterstützt durch die international renommierten Fotografen Reto Guntli und Agi Simoes – der Autor Rainer Moritz begeben. Er leitet seit 2005 das Hamburger Literaturhaus, schreibt Kolumnen, Essays, Literaturkritiken und Bücher. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Die Überlebensbibliothek“ und „Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe“.

„Die schönsten Buchhandlungen Europas“ ist mehr als ein klassischer Reisebildband, denn der Leser taucht ein in mehrere neue Welten: ein neues Land bzw. eine neue Stadt, eine historische Architektur, eine Familiengeschichte und natürlich in die Welt der Bücher. Rainer Moritz hat ganz subjektiv, wie er selbst schreibt, 20 Buchhandlungen aus dem deutschsprachigen Raum und aus Westeuropa ausgesucht, die für ihn zu den schönsten Europas zählen.

Buchhandlungen sind Orte des Entdeckens, sie befriedigen die Neugierde, sie überraschen, sie beglücken. Es sind Orte der Begegnung, der Kommunikation, der Freude, der Ruhe, aber auch der Hektik. Sie können helfen, sie unterstützen und sie wecken Lust auf Bücher und Lesen! Doch wenn diese Buchhandlungen noch eine besondere Architektur, aussergewöhnliches Mobiliar und eine historische Familiengeschichte vorweisen können, verstärkt es die Anziehungs-kraft. Werden die Besucher dann noch mit aufmerksamer Beratung, durch eine besondere Auswahl von Büchern und bemerkenswerte literarische Veranstaltungen verwöhnt, fühlt sich jeder Leser und Buchliebhaber wie in einem Paradies.

Rainer Moritz porträtiert mit Feingefühl und grosser Neugierde die zwanzig schönsten Buchhandlungen Europas. Er zeigt uns die Besonderheiten, die buchhändlerischen Schwerpunkte und die ganz persönlichen Geschichten der Besitzer und Geschäftsführer dieser Häuser:

„Buchhandlung Felix Jud“ ist allein schon für ihren Standort zu beneiden. Sie liegt im nobelsten Einkaufsviertel von Hamburg, in einer der schönsten Passagen – die Mellin-Passage – direkt in der Nähe vom Jungfernstieg. Doch wenn man diese Buchhandlung entdeckt, vergisst man selbst die schönsten Juweliere und Boutiquen, und lässt sich bereits von den mit feinster Literatur gestalteten Schaufenstern anziehen. Spätestens beim Betreten der Buchhandlung spürt man die besondere Atmosphäre, das stilvolle Mobiliar – hauptsächtlich Kirschholz – und den Anspruch für gute Literatur.

„Librairie Galignani“ liegt im 1. Arrondissement von Paris, in der noblen und sehr bekannten Strasse – Rue de Rivoli. Genau gegenüber befindet sich der Jardin des Tuileries, daneben eines der teuersten und schönsten Hotels von Paris – Le Meurice – und das berühmte Café „Angelina“, das bereits Marcel Proust regelmässig besuchte. Galignani war und ist die erste englische Buchhandlung, die jemals auf europäischen Festland eröffnet wurde. Inzwischen gehört sie nicht nur zu den grössten englischen Buchhandlungen in Paris, sondern ist vor allem auch für ihre grosse Titelauswahl im Bereich Kunst, Mode, Fotographie, Design und Film sehr bekannt. Deshalb braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn man beim Schmökern berühmte Schauspieler und Modeleute trifft. Doch das Beste ist der perfekte Kundenservice, der sich durch besondere Kompetenz und ungewöhnliche Bibliographiermethoden auszeichnet.

Neben diesen zwei Beispielen entdecken wir unter anderem noch Buchhandlungen aus Berlin „Bücherbogen am Savignyplatz“ – die bekannt ist für ihren ungewöhnlichen Standort -, aus Brüssel „Tropismes“ – deren Name eine Hommage an Nathalie Sarraute ist – und aus Maastricht „Selexyz Dominicanen“ – die in einer der ältesten gotischen Dominikanerkirchen Hollands eingerichtet wurde -. Desweiteren finden Sie auch Buchhandlungen aus Österreich, der Schweiz, Portugal, England und Italien.

Dieser Bildband dient nicht nur zur Vor- bzw. Nachbereitung einer Reise, er ist wie eine Reise! Selbst dann, wenn man nur zu Hause gemütlich auf seinem Canapé verweilt. Rainer Moritz erzählt wunderbare Geschichten zu jeder Buchhandlung. Sie sind offen, persönlich und äusserst spannend. Sie geben aber auch Einblicke, die unverwechselbar und einmalig sind. Die faszinierenden Bilder und Momentaufnahmen der beiden Starfotografen Reto Guntli und Agi Simoes lassen den Leser vor Ehrfurcht erstarren und gleichzeitig ein euphorisches „Oh“ und „Ah“ rufen. Kunstvoll wurde mit diesen starken und klaren Photographien und den einfühlsamen Porträts einer der schönsten Bildbände aus der Welt der Bücher gestaltet.

„Die schönsten Buchhandlungen Europas“ laden Sie ein auf eine Reise, ganz ohne Ticket und ohne Gepäck! Vertrauen Sie Ihren Augen, geniessen Sie die Texte und Bilder. Sie werden mit unvergesslichen Eindrücken und einer unendlichen Lust auf Bücher und Lesen zurückkehren!

Joachim Ringelnatz – Gedicht

Morgenwonne

Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.

Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich „Euer Gnaden“.

Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.

Durchgelesen – „Die Silikonliebhaber“ v. Javier Tomeo

„Die Silikonliebhaber“ könnte im ersten Augenblick vielleicht ein erotischer, fast schon ein „pornographischer Groschenroman“ sein. Doch hinter diesem kurzen Roman (gerade mal 140 Seiten) steckt eine eher hintergründige, scheinbar etwas schamlose, aber nicht weniger intellektuelle literarische Satire, die den Leser mit dem Thema – Sexualität – offen konfrontiert.

Javier Tomeo, geboren 1932, studierte Jura und Kriminologie. Er gehört zu den meistübersetzten spanischen und meistgelesenen europäischen Gegenwartsautoren. 1994 wurde er mit dem Premio Aragon ausgezeichnet und lebt heute als Schriftsteller in Barcelona.

„Die Silikonliebhaber“ ist ein Roman im Roman, das heisst, die eigentliche Geschichte ist eingebettet in eine Rahmenhandlung. Und in dieser Rahmenhandlung erhält der Ich-Erzähler, selbst Schriftsteller, von seinem Freund Ramòn M. das Manuskript seines Romans, das in fünf Teillieferungen zugestellt wird, welche er auch noch gründlichst korrigieren soll. Und das ist bei dieser eher ungewöhnlichen, um nicht zu sagen schrägen Geschichte, eine besondere Herausforderung.

Die eigentliche Geschichte handelt von Basilio und Lupercia – einem Ehepaar mittleren Alters-. Basilio liebt Opern und Lupercia ist dem Alkohol sehr nahe. Sie betreiben zusammen ein kleines Kurzwarengeschäft, was auf Reizwäsche spezialisiert ist. Sie wohnen in einer Drei-Zimmer-Wohnung, die hauptsächlich von einem riesigen Flachbildfernseher dominiert wird und sie schlafen in getrennten Zimmern, da sie keine sexuelle Beziehung mehr miteinander haben. Doch es gibt eine Alternative für die sexuell unbefriedigten Seelen: zwei Puppen aus Silikon. Lupercia tröstet sich mit «Big John» und Basilio mit «Marylin»:

„Die eine Puppe heisst Marylin und verliess vor erst sieben Monaten die Fabrik…  . Sie wiegt etwas über zehn Kilo, ist schwarzhaarig, hat mandelförmige Augen… . Marylin gehört zur dritten Generation des Sexpuppentyps Minerva HP-457 und verfügt, abgesehen von den Alkalibatterien, über weitere charakteristische Eigenschaften, die sie von ihrem Vorgängermodellen unterscheiden.“

Daneben kann Marylin noch die bedeutendsten Arien aus der Opernwelt im Originaltext singen und mit lateinischen Zitaten punkten. Lupercias Puppe mit dem Namen Big John ist ebenfalls mit den wichtigsten und neuesten Programmen ausgestattet, die jedes Frauenherz höher schlagen lassen und die Lust dadurch unendlich steigern. Kurzum sie sind beide mit jeglich erdenklichen technischen Firlefanz ausgerüstet, der ihre konservativen Besitzer glücklich machen soll. Doch eines Tages, als Basilio und Lupercia am Abend nach Hause kommen, entdecken sie ihre Puppen auf dem Sofa in einer sehr eindeutigen Situation bzw. Stellung. Die Puppen haben sich ineinander verliebt. Marylin findet die Manneskraft von Basilio sowieso zu klein und lacht ihn nur noch aus; und auch Big John ist frustriert von Lupercia:

„«Wenn ich ehrlich sein soll» gesteht Big John mit gesenktem Blick, «dann muss ich dir sagen, dass es mir mit dir noch nie so richtig gefallen hat. All mein Gestöhn war nichts als Komödie…».“

Nach dieser Entdeckung wird Marylin in den Wandschrank verbannt. Lupercia versucht Big John noch einmal aus der Reserve zu locken, und ihn zu fragen, wer besser ist, sie oder die andere Puppe. Doch er liebt Marylin. Daraufhin sticht Lupercia – ziemlich alkoholisiert –  ihm mit dem Messer in den Rücken und die Luft entweicht langsam aber sicher aus seiner Wunde. Wird Big John überleben, kann Marylin ihn retten, werden sie zusammen glücklich? Gibt es ein Happy-End….. ?

Der Ich-Erzähler hat sich bemüht diese Geschichte bis zum Schluss aufmerksam zu lesen, jedoch hat er nicht an seiner Kritik zwischen den einzelnen Lieferungen gespart. Für ihn ist das Ende nicht wirklich durchdacht und überhaupt ist er mit dem ganzen Werk unzufrieden:

„Ich jedenfalls bleibe bei meiner Meinung: hier handelt es sich um eine Geschichte, die unerträglich ist. Absolut inakzeptabel, sogar heutzutage, wo sowieso schon so viel Unsinn gelesen wird. Schlecht ausgedacht, schlecht ausgeführt, schlecht abgeschlossen.“

Der Leser könnte diese Meinung des fiktiven Herausgebers und Ich-Erzählers übernehmen. Doch wenn er genau hinter den schwarzen Humor und die sprachliche Kunst blickt und vielleicht auch noch zwischen den Zeilen liest, wird er feststellen, dass dies ein kleines poetisches Bravourstück ist. Tomeo hat aus dieser Geschichte eine mehr oder weniger erotische Persiflage gemacht, die sowohl direkte als auch indirekte Kritik an der heutigen Gesellschaft übt. Selbst die technisch hochentwickelten Puppen aus Silikon, die den Menschen nicht ersetzen können, stellen in diesem Roman die Freiheit des Menschen über alles. Das hat auch Marilyn immer wieder betont: „Libertas inaestimabilis res est“ („Die Freiheit ist ein unschätzbares Gut“). Das unterstreicht auch Tomeo’s Sprache, die frei, direkt, manchmal auch deftig, aber nie ordinär ist. Er schreibt raffiniert und äusserst komisch! Der Leser kann lauthals lachen, gleichzeitig verwundert den Kopf schütteln und wird nach der Lektüre vielleicht sogar ein wenig melancholisch zurückbleiben.